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Archiv-Artikel

Fluchtgeschäfte

Fünf junge Journalisten haben sich auf den Weg an die EU-Außengrenze zwischen der Ukraine und der Slowakei gemacht. Sie sind Mitglieder der „Jungen Presse Berlin“, die Nachwuchsreporter dabei unterstützt, Erfahrung zu sammeln. In der Kontext:Wochenzeitung berichten sie von ihren Beobachtungen an der Hightechgrenze zum Land der nächsten EM, dem die deutsche Politik momentan mit einem Boykott wegen Menschenrechtsverletzungen droht

von Raphael Krämer, Ruben Neugebauer, David Erdmann, Nick Jaussi und Jakob Schily

Bewegungsmelder, Wärmebildkameras, unsichtbare Detektorkabel in der Erde sowie Grenzpolizeieinheiten mit Motorrädern und Geländewagen – so sieht die neue Hightechgrenze zwischen der Slowakei und der Ukraine aus, in der demnächst die Fußball-EM steigen soll. Und die Grenze soll weiter hochgerüstet werden. Jan Kosticak, technischer Leiter der slowakischen Grenzpolizei, schwärmt sogar von einem „virtuellen Zaun“, der menschliche Bewegungen erkennen kann. Eiserner Vorhang 2.0, sozusagen. In wenigen Jahren möchte er die komplette Grenze damit ausgestattet wissen.

Eine der fünf Hauptmigrationsrouten für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan oder Somalia in die EU führt über die Ukraine in die Slowakei. Für viele Flüchtlinge, die auf dem langen Weg in den für sie „goldenen Westen“ sind, ist dort aber erst mal Endstation. Wer es über die Grenze schafft, wird sofort wieder in die Ukraine abgeschoben und bekommt keinen Zugang zum Asylverfahren in der Slowakei. Und so sitzen viele im Abschiebegefängnis oder in einem der Lager nahe der Grenze fest. Wer es besser trifft, lebt in der ukrainischen Grenzstadt Uschhorod. Und wird abgezockt. Denn auf der anderen Seite der Grenze haben die Leute offensichtlich die Flüchtlinge als Wirtschaftsfaktor entdeckt.

Nabil (Name geändert), ein sechzehnjähriger Junge aus Afghanistan, hat kürzlich versucht, die Grenze in die Slowakei zu überqueren. Seitdem sitzt er mit zehn weiteren Gefangenen in einer Zelle des Abschiebegefängnisses in der ukrainischen Grenzstadt Tschop. Die Haftbedingungen seien untragbar, sagt er. Kürzlich wurde das Lager mit Geld der europäischen Nachbarn saniert. So spendierte die EU zum Beispiel eine Klimaanlage und frischen Putz für die Fassade. Doch hinter dem neuen Anstrich sind viele der alten Probleme geblieben.

„Wenn man etwas möchte, muss man bezahlen“

Nabil kennt seine Zellennachbarn nicht, Hofgang gibt es keinen, die Stahltüren zum Flur bleiben immer geschlossen. Selbst wenn Nabil auf die Toilette muss, sagt er, ist er gezwungen zu warten, bis ihm ein Soldat aufmacht. Das kann schon mal ein wenig dauern. Für ein Telefonat kassieren die Wärter Bestechungsgeld, dasselbe gilt für Zigaretten. „Wenn man etwas möchte, muss man bezahlen, sogar für den Übersetzer.“

Die Flüchtlinge müssen in der Regel sechs Monate im Gefängnis bleiben. Danach werden sie meist freigelassen. Aus dem Gefängnis entlassen, können sich die Flüchtlinge um einen Flüchtlingsstatus bewerben. Diesen Status – und damit eine Arbeitserlaubnis – erhalten jedoch nur wenige. Die meisten bleiben im Verwaltungsapparat gefangen und bekommen immer wieder Papiere ausgestellt, die nur 14 Tage gültig sind.

Auch Halim (Name geändert), ein Flüchtling aus Afghanistan, muss alle 14 Tage nach Uschhorod zur Migrationsbehörde, um seine Papiere stempeln zu lassen. Fast immer sind dabei Bestechungsgelder fällig. Bezahlt er nicht, erhält er keinen Stempel. Und ohne gültigen Stempel lebt er ständig mit der Angst, verhaftet zu werden und im Abschiebegefängnis Tschop zu landen. Halim kommt gerade aus dem Gebäude der Migrationsbehörde in der Grenzstadt Uschhorod. Wieder 20 Euro, 200 Hrywnja, für einen Stempel auf einem Ausweisdokument. Aus seiner Stimme kann man Resignation heraushören.

Rassismus und Abzocke sind an der Tagesordnung

Viele Flüchtlinge zieht nach Uschhorod, schlagen sich dort mit Schwarzarbeit durch und warten auf die nächste Möglichkeit, in die Slowakei und damit die EU zu kommen. Farid, ein siebzehnjähriger Flüchtling aus Somalia, ist auf dem Weg in seine Wohnung; von der anderen Straßenseite ruft ein junger Mann in aggressivem Ton: „Go home!“ So etwas passiere hier jeden Tag, sagt Farid. Später holt er ein blutiges Tuch aus der Hosentasche, er zeigt Narben an der Hand und an der Oberlippe. Er sei schon mehrfach angegriffen worden, sagt er.

Die Zweizimmerwohnung, in der Farid mit seinem Bruder und dessen ganzer Familie wohnt, ist heruntergekommen. Der Kühlschrank funktioniert schon lange nicht mehr, an den Wänden breitet sich Schimmel aus. Warmes Wasser? Fehlanzeige. Für die Wohnung zahlt Farids Bruder umgerechnet 200 US-Dollar Miete. In gebrochenem Englisch erklärt der junge Mann, dass man für diesen Preis in Uschhorod deutlich bessere Wohnungen bekommen könnte, nicht jedoch mit seinen Papieren. Das Geld für die Miete kommt von Verwandten im Ausland. Lange wird das so aber nicht mehr gehen, sagt Farid.

Am Morgen nach dem Besuch in Farids Wohnung ruft er aufgeregt an. Er erzählt, es fände gerade eine Razzia in ihrem Häuserblock statt, in dem außer ihm und seiner Familie noch andere Flüchtlinge leben. Einer von ihnen werde gerade verhaftet und nach Tschop gebracht, sagt Farid durchs Telefon. Der Mann habe im Hinterhof gesessen und seine Papiere in der Wohnung vergessen.

Farid weiß, was es bedeutet, nach Tschop gebracht zu werden. Nach seinem ersten Versuch, in die EU zu gelangen, hat er bereits sechs Monate dort verbringen müssen. 500 Euro hat er an die Beamten gezahlt, daraufhin ließen sie ihn frei. Heute hat er seine Papiere immer dabei, er möchte der Polizei keinen Anlass bieten, ihn noch einmal zu verhaften oder Geld von ihm zu erpressen. Entmutigt ist er nicht. Zum Abschied benutzt er eine Floskel, die viele in Uschhorod verwenden: „See you in Germany!“