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Archiv-Artikel

„Europa wird zum Prügelknaben“

Das Nein der Franzosen und Niederländer zur EU-Verfassung ist kein Grund, diese neu zu verhandeln, sind sich die beiden Bremer EU-Abgeordneten Karin Jöns (SPD) und Helga Trüpel (Grüne) einig. Man müsse aber die „EU-Skepsis wahrnehmen“

taz: Frau Trüpel, Frau Jöns, nachdem Frankreich und die Niederlande den Entwurf für eine Europäische Verfassung abgelehnt haben: Ist die europäische Integration jetzt unterbrochen?

Karin Jöns (SPD): Ich denke nicht. Der Ratifizierungsprozess muss weiterlaufen. Jetzt neue Verhandlungen über die Verfassung zu führen würde auch keine Verbesserungen bringen. Dieser Kompromiss ist das Optimum dessen, das zu erreichen war. Aber vielleicht muss alles etwas langsamer und noch mehr im Dialog mit den Bürgern geschehen.

Helga Trüpel (Grüne): Wir befinden uns gerade in einer Phase der Nachdenklichkeit. Man darf sich aber nicht von dem Ratifikationsprozess verabschieden. Es darf höchstens zu einer Unterbrechung kommen. Sollte das geschehen, muss man diese Unterbrechung dazu nutzen, eine verstärkte politische Debatte zu führen. Sicherlich muss man die EU-Skepsis wahrnehmen, aber nicht allen geäußerten Ängsten nur nachgeben.

Was ist schief gegangen?

Jöns: Na ja, den Menschen zu Hause ist die europäische Einigung der vergangenen Jahre viel zu schnell gegangen. Sie haben nicht verstehen können, warum zehn Staaten auf einmal dazu kamen und Rumänien und Bulgarien schon eine Zusage haben, ab 2007 beizutreten und man zudem noch mit der Türkei Verhandlungen bereits im Oktober aufnehmen will.

Trüpel: Wir müssen noch stärker als bisher betonen, dass viele Projekte nur noch auf der europäischen Ebene gelöst werden können. Ein gutes Beispiel ist die Richtlinie zum Feinstaub. Hier macht es keinen Sinn, dass jedes Land andere Richtwerte hat.

Wie kann man den BürgerInnen besser vermitteln, was in Brüssel geschieht?

Trüpel: Ich versuche immer wieder, europäische Themen bei Veranstaltungen in die Köpfe der Menschen zu transportieren. Vor allem kann man den Bürgern sagen, dass europäische Förderprogramme ihnen Vorteile bringen – denken Sie nur in Bremen an den Ausbau der Schlachte oder den Bau des Zoos in Bremerhaven. Das wäre ohne EU-Mittel nicht möglich gewesen. Bremen und Deutschland zahlen also nicht nur an Brüssel, sie bekommen auch etwas zurück.

Jöns: Wenn man den Menschen im direkten Dialog erklärt, wie Politik in Brüssel funktioniert, dann verstehen sie auch Zusammenhänge, die auf den ersten Blick komplex sind und daher oft populistisch vereinfacht dargestellt werden. Es kann nicht länger angehen, dass die Regierungen, egal welcher politischer Richtung, zu Hause nicht zu dem stehen, was sie in Brüssel beschlossen haben und dann, wenn zu Hause etwas schief läuft, den schwarzen Peter nach Europa schieben. Das gilt auch für Landesregierungen.

Was fehlt den Europäerinnen und Europäern?

Trüpel: Vor allem Solidarität unter den Menschen, die nicht sehen, dass sie von einem Ausgleich mit anderen Ländern profitieren.

Jöns: Globalisierung und Erweiterung machen den Menschen Angst. Europa wird zum Prügelknaben gemacht. Den Menschen fehlt das Verständnis dafür, dass Europa oft nur die Rahmenbedingungen verbessern kann, vieles nach wie vor in nationaler Verantwortung liegt und die negativen Auswirkungen der Globalisierung ohne die EU für sie noch dramatischer wären.

Wie sieht Europa in zehn Jahren aus?

Jöns: Ich würde mir wünschen, dass es eine Verfassung gibt – zumindest eine weitere Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments und eine stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente.

Trüpel: Ja, sonst wird Europa wieder zu einer Kooperationsebene für die Länderchefs der Mitgliedsstaaten. Und wenn wir nicht eine politische Stärkung auf EU-Ebene schaffen, kann die Union auch zu einer reinen Freihandelszone werden. Und das wollen wir nicht, dazu ist Europa zu wichtig. Interv.: Kay Müller