Rohrbomben am Straßenrand

1. MAI Während der 18-Uhr-Demonstration hat die Polizei drei Sprengsätze gefunden – bei einer Zündung hätte es Schwerverletzte geben können. Wer die Täter waren, ist unklar

„Hätten wir davon gewusst, hätten wir den Aufzug beendet“

M. KOPPERS, POLIZEICHEFIN

VON PLUTONIA PLARRE

Mehrere Tage hat die Polizei verstreichen lassen, bis sie mit dieser Nachricht herausrückte: Am Rande der abendlichen Revolutionären 1. Mai Demonstration in Kreuzberg hätten Beamte „drei Rohrbomben“ gefunden, so die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Die mit einem selbst hergestellten Sprengstoff gefüllten Alurohre seien möglicherweise aus Angst vor Entdeckung oder Skrupeln weggeworfen worden. Die Einsatzleitung habe von den Funden erst im Nachhinein erfahren. „Hätten wir am 1. Mai davon gewusst, hätten wir den Aufzug relativ sicher beendet“, sagte Koppers.

40 Zentimeter lang

Bei den Fundstücken handelt es sich laut Polizei um jeweils 2,5 mal 40 Zentimeter große Rohre. „Der Bauart nach handelt es sich um klassische Rohrbomben“, so die Polizeichefin. Ob diese in der Lage waren zu zünden, werde derzeit von Sprengstoffexperten des Landeskriminalamts untersucht, in den nächsten Tagen wisse man mehr.

Die gefundenen Röhren seien randvoll mit einem Chlorat-Zucker-Gemisch gefüllt und mit einer Lunte versehen gewesen. „Bei einer Zündung hätte man im Umkreis von 15 bis 20 Metern mit Schwerverletzten rechnen müssen“, so Koppers. Die Röhren seien von verschiedenen Polizeieinheiten entlang der Demonstrationsroute gefunden worden: Um 20.14 Uhr an der Oranien-Ecke Lobeckstraße, um 20.20 Uhr vor der Oranienstraße 115 und um 20.27 Uhr in der Margrafenstraße. An der Markgrafen-/ Ecke Lindenstraße hatte die Polizei den aus 13.000 Teilnehmern bestehenden Demozug um 21.30 Uhr aufgelöst.

Der Beamte, der das dritte Rohr fand, hat laut Koppers zu Protokoll gegeben, weitere ähnliche Gegenstände auf der Fahrbahn der Markgrafenstraße gesehen zu haben. Diese seien von Demoteilnehmern unabsichtlich weggetreten worden. Deshalb habe er sie nicht sicherstellen können.

Die Gefährlichkeit der Fundstücke war nach Angaben von Polizeisprecher Stefan Redlich erst am 3. Mai erkannt worden. Zunächst seien die Rohre wie normale Beweisstücke behandelt und auf einen Polizeiabschnitt gebracht worden. Das Gelände sei dann ohne Erfolg nochmals abgesucht worden.

Die Polizei habe bisher keine Erkenntnisse über den oder die Erbauer, heißt es. Ein Chlorat-Zucker-Gemisch sei schon bei früheren Anschlägen erfolgreich verwendet worden, so Koppers. Dabei handele es sich allerdings um zurückliegende Anschläge aus den 70er Jahren, sagte ihr Sprecher auf Nachfrage.

Der SPD-Innenpolitiker Thomas Schreiber warnte im Ausschuss vor einer voreiligen Festlegung auf Täter aus der autonomen Szene. Die Bomben könnten auch aus dem rechten Spektrum in die Demo eingeschleust worden sein. Auch ein Sprecher des Demobündnisses 1. Mai warnte gegenüber der taz vor voreiligen Schuldzuschreibungen. Eine vermeintliche Splitterbombe, die laut Polizei 2010 bei einer Anti-Krisen-Demonstration gezündet worden war, habe sich im Nachhinein auch als Feuerwerksböller entpuppt.

Der Sprecher des Bündnisses erneuerte außerdem den Vorwurf, die Polizei habe am 1. Mai nie vorgehabt, die Demo nach Mitte laufen zu lassen. Auch die Innenpolitiker von Grünen und Linkspartei, Benedikt Lux und Udo Wolf, bezweifelten die Notwendigkeit, die Demo vor dem Jüdischen Museum aufzulösen. Koppers verteidigte die Entscheidung mit dem Hinweis auf Straftaten aus dem Zug. Zudem habe sich der Veranstalter geweigert, die Demo fortzusetzen, wenn die Polizei die seitliche Begleitung nicht abziehe.