: „Wir schrauben bald die Schilder ab“
Deutschlands erfolgreichster Kulturhauptstadt-Kandidat erklärt im taz-Exklusiv-Interview, wie man gewinnt. Sein Rat an die Bremer: „Jetzt erst recht“
Der einen Leid ist des anderen Freude: Kürzlich konnte Oliver Scheytt (SPD, Foto) seine zwölfjährige Tätigkeit als Essener Kulturdezernent mit dem Sieg bei der Kulturhauptstadt-Kandidatenkür krönen. Essen ist in der Endrunde und muss nach Bremen jetzt nur noch Görlitz aus dem Rennen um die „Kulturhauptstadt Europas“ 2010 werfen.
taz: Wie lebt es sich als erfolgreicher Kandidat?
Oliver Scheytt: Gut. Riesige Chancen liegen vor uns. Aber jetzt müssen wir erstmal Geld suchen.
Ist alles für die Siegesfeier draufgegangen?
Natürlich nicht. Aber Stadt und Region haben Haushaltsnöte – da brauchen wir Sponsoren.
Was fällt Ihnen kulturell zu Bremen ein?
Sie haben eine Förderung von „Kunst im öffentlichen Raum“, von der wir sehr viel lernen können. Bremen wäre auch gut beraten, sein Theater weiter zu stärken. Die Tanzsparte finde ich ausgesprochen spannend – da könnte ich mir weitere künstlerische Verbindungslinien zu Essen vorstellen.
Die Bremer hatten fest mit ihrem Weiterkommen gerechnet – Sie auch?
Sicherheit kann es in solchen Verfahren nicht geben. Aber wir waren und sind von unserer Bewerbung natürlich überzeugt.
Früher hat Essen mit dem Slogan „Die Einkaufsstadt“ für sich geworben.
Die entsprechenden Schilder am Bahnhof wollen wir 2010 ersetzen. 2011 soll man von Essen und der Region anders denken als zuvor: Wir nutzen Kultur als strategisches Konzept des Wandels.
Das war auch der Bremer Ansatz.
Bei uns ist das wohl noch aufregender. Eine ganze Region soll zur Stadt werden – und die besteht immerhin aus 53 Stadt- und Landkreisen.
Dann haben haben Sie qua Masse gewonnen?
Nur die Masse kann es nicht gewesen sein. Am Anfang haben es uns viele gar nicht zugetraut. Aber wir haben hier traumhafte Szenerien und Räume – wie man gerade wieder bei der „Nacht der Industriekultur“ erfahren konnte.
In Bremen hat sich die unerwartete Bauchlandung ziemlich fatal ausgewirkt. Spezielle Kulturprojekte gelten mittlerweile als Schnaps- beziehungsweise Schampusidee.
Man müsste sagen: jetzt erst recht. Kassel investiert mit Hilfe des Landes Hessen trotz der Niederlage 100 Millionen Euro in die Entwicklung seiner Museumslandschaft. Man muss die bisherige Gemeinschaftsleistung weiterführen und neue, stärker auf die Stadt bezogene Ziele entwickeln.Und: Man darf die kulturelle Grundversorgung nicht aus dem Blick verlieren. Die Wirtschaftsförderung darf nicht die Kulturpolitik übertrumpfen.
Müsste man nicht auch einen Preis für die produktivste Verarbeitung der Niederlage ausschreiben?
In der Tat. Wir können zwar nicht jedes Jahr eine „Kulturhauptstadt Deutschlands“ gebrauchen, aber der Kulturausschuss des Städtetages überlegt gerade, jeweils wechselnde Ausschreibungen zu machen, bei der sich zwei deutsche und eine weitere europäische Stadt im Verbund bewerben können – mit wechselnden thematischen Bezügen.
Apropos: Im Internet kann man die Domain www.essen2010.de „without content“ meistbietend ersteigern. Was sind denn Ihre wesentlichen Inhalte?
Die kann man jetzt unter www.kulturhauptstadt-europas.de nachlesen. Interview: HB