: Eine Stadt, rund um die Uhr
TV-EREIGNIS Für die Doku „24h Berlin“ wurden insgesamt 750 Stunden Filmmaterial montiert. Zuletzt folgte die Tonmischung, bei der jeder Buchstabe richtig klingen muss
AUS BERLIN DAVID DENK
Thomas Kufus ist mal wieder nicht zufrieden. Diesmal gefällt ihm das „B“ nicht. Das Wort „banal“ klingt hier eher nach „manal“ – und das ergibt ja nun wirklich keinen Sinn. Also muss ein richtig schönes „B“ her. Tonmeister Florian Beck wird in „verkabelt“ fündig, schneidet den Laut aus und fügt ihn an der gewünschten Stelle wieder ein. Das dauert kaum länger als das Copy and Paste in einem Textverarbeitungsprogramm.
Jetzt ist Thomas Kufus zufrieden. „Wunderbar, Florian! Ein Zauberer!“, lobt der Produzent von „24h Berlin“ und wendet sich seinem Gast zu: „Das hätte man vor 10, 15 Jahren noch nicht machen können. Ohne modernste digitale Technik wäre die schöne Mammutdoku-Idee von Volker Heise, seinem Kompagnon in der gemeinsamen Firma Zero One Film, ein Hirngespinst geblieben. Am Samstag wird „24h Berlin“ nach drei Jahren harter Arbeit wirklich ausgestrahlt. Das ist nicht nur das Verdienst der 80 Drehteams, die am 5. September 2008 rund um die Uhr durch Berlin zogen. Ohne den Sponsor, der HD-Kameras und Speichermedien zur Verfügung stellte, hätte es wohl nicht geklappt.
Die Teams wurden teilweise von Nachwuchsfilmern angeführt, aber auch bekannte Regisseure wie Andres Veiel, Romuald Karmakar und Volker Koepp machten mit. Sie brachten insgesamt 750 Stunden Filmmaterial mit: Interviews, Stadtansichten, Milieustudien. Die 18 Terrabyte Daten wurden auf einen Server gespielt, auf den die Cutter zugreifen konnten. Die arbeiteten im Schichtdienst und parallel in vier Schneideräumen.
Die Tonmischung bei Florian Beck in einem Studio in Berlin-Friedrichshain ist der letzte Schritt in der enorm komplexen Postproduktionsphase von „24h Berlin“. Nachdem Beck zunächst die O-Töne vorgemischt und dann in der Hauptmischung Off-Kommentare und Musik hinzugefügt hat, ist an diesem Mittwoch Mitte August Produzent Kufus dazugekommen, um die Stunde zwischen drei und vier Uhr nachts abzunehmen. Unter anderem essen da zwei Medizinstudenten im Schlaflabor Salat, Ricardo Villalobos legt im Berghain auf, und ein junger Mann im Taxi zur Warschauer Straße erzählt, warum er jetzt doch wieder lieber arbeiten geht, anstatt Hartz IV zu beziehen.
„Da könnten wir Probleme in der Abnahme kriegen“, sagt Thomas Kufus. Ihm ist aufgefallen, dass man den Fahrgast nur dann gut versteht, wenn er auch im Bild ist. Das liegt daran, dass ins Taxi kein Tonmann mehr reinpasste. Das an die Kamera gekoppelte Mikro schwenkte in deren Blickrichtung mit. Ist der Taxifahrer im Bild, muss man deshalb ganz genau hinhören. „Nö, da habe ich schon wesentlich härtere Sachen durchgekriegt“, beruhigt der Tonmeister den Produzenten.
Kufus sieht sich bei der Endkontrolle im Mischraum als „verlängerter Arm des Zuschauers“, dessen Boxen am Fernseher längst nicht so gut seien wie die Technik der Profis. Deswegen stelle er „höchste Ansprüche an die Verständlichkeit“ – was auf Außenstehende etwas pedantisch wirken kann. Vielleicht gibt sich Kufus in diesem Fall aber auch besonders große Mühe, weil er das Vertrauen von Volker Heise nicht enttäuschen will. Der künstlerische Leiter von „24h Berlin“, der für die ARD-Dokureihe „Schwarzwaldhaus 1902“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, hat die Grundstilistik des Tons festgelegt. Dazu gehört, dass die Stimmen der Off-Sprecher – unter anderem die „Tatort“-Kommissare Axel Milberg und Boris Aljinovic – zurückgenommen wirken sollen statt drübergekleistert.
Heise arbeitet in der Endphase nicht mehr mit, er hat sich nach Monaten voller 16-Stunden-Tage in den Urlaub verabschiedet. Pünktlich zum 5. September 2009 ist der Verantwortliche aber wieder da – wenn sich der 5. September 2008 im Fernsehen wiederholt.
■ „24h Berlin – ein Tag im Leben“; Sa., 5. September, ab 6 Uhr, RBB und Arte. Mehr Infos: www.24hberlin.de