PETER UNFRIED NEUE ÖKOS : Wo er das bloß herhat
Selbst an seinem glücklichsten Tag weigert sich Adorno, Fahrrad zu fahren. Die Macht fragt: Ist der Junge normal?
Ich wusste, dass es nicht gut enden konnte, als Adorno in mein Arbeitszimmer kam und sagte: „Das ist mein glücklichster Tag.“
„Ach, warum?“
„Heute Abend gehst du mit mir Barça schauen. Und jetzt kommt gleich die Macht und geht mit mir zu Karstadt.“ Sicher, um ihm was Unnützes zu kaufen.
Ich sagte: „Ja, du hast schon ein gutes Leben“. Und da nickte er sogar! Er war wirklich glücklich.
Dann kam seine Mutter nach Hause und sagte: „Also, Adorno, wir gehen.“
Da stand er schon an der Tür. Fix und fertig angezogen. Ganz ungewöhnlich. Und dann sagte sie: „Und zwar mit dem Fahrrad.“
Ich dachte noch: Um Gottes willen. Jetzt fordert sie das Schicksal aber heraus. Vielleicht hatte sie einen Emo-Schub, weil ihr grade ein Fußgänger im Weg rumgestanden war. Oder ein Autofahrer hatte sie in der verkehrsberuhigten Zone nicht über die Straße gelassen. Jedenfalls wollte sie es wissen.
Da zischte Adorno schon: „Nur über meine Leiche.“
„Du wirst doch wohl bei Sonnenschein mit dem Fahrrad zu Karstadt fahren können.“
„Ich fahr mit der U-Bahn.“
„Mit der U-Bahn zu Karstadt? Du spinnst wohl.“
Geschrei hoch drei.
„Du kommst jetzt sofort mit und setzt dich auf dein Fahrrad.“
Und dann sagte Adorno: „Was für ein Scheißtag.“
Das war jetzt nur ein Beispiel, ich könnte da viele Beispiele erzählen. Danach ist die Macht jedenfalls immer total erledigt. „Ist das denn noch normal?“, seufzt sie dann.
„Das ist bei einem Elfjährigen völlig normal“, sage ich. Nicht dass ich da sicher bin, aber ich will sie auf keinen Fall in ihrer Sorge bestärken, dass unser Sohn nicht normal sein könnte. Ich weiß genau, was sie umtreibt. Sie denkt: Warum ist dieser Adorno so? Und ist sie schuld, dass er so ist? Das kann ja wohl nicht sein. Aber wer ist dann schuld?
An dieser Stelle sagt sie dann: „Also, ich weiß gar nicht, wo er das herhat.“ Das heißt übersetzt: Das hat er doch hundertprozentig von dir.
Zum Beispiel kann Adorno keine Fehler zugeben. Ums Verrecken nicht. Das ist wirklich schlimm bei dem. Sagt die Macht: „Also, ich weiß gar nicht, wo er das herhat.“ Von mir? Niemals. Was für ein absurder Vorwurf. Ich mache nichts falsch.
Oder: „Tut immer so groß, dieser Adorno, aber kann sich nicht mal in der Kneipe selbst eine Cola bestellen. Also, ich weiß gar nicht, wo er das herhat.“
Was hat das mit mir zu tun? Ich bestelle selbstverständlich mein Getränk in der Kneipe selbst. Wenn die Bedienung mich nicht ignoriert. In dem Fall macht die Macht das, okay. Aber wirklich nur dann.
Ich lese auch Bücher, dusche auf Nachfrage ohne Geschrei, und die Macht darf mich in berechtigten Fällen nackt sehen, kein Problem. Und wenn sie sagt, dass ich meine lange Unterhose anziehen soll, weil es draußen kalt ist: Ja, Gott, dann ziehe ich sie an. Einfach so. Manchmal frage ich mich, wo ich das herhabe.
■ Der Autor ist Chefreporter der taz Foto: Anja Weber