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Archiv-Artikel

Die Schwiegertochter trägt Leopardenfell

Arbeit am Selbstentwurf und der Verlust der Geborgenheit in der Tradition: Sie bilden den Hintergrund in den Arbeiten von elf Fotografen aus Japan im Ostasiatischen Museum. Einer instabilen Gesellschaft, deren alte Selbstbilder nicht mehr taugen, stellen sie sich mit Witz und listigen Strategien

VON MARCUS WOELLER

„Die Wirtschaft zeigt keine Zeichen der Besserung. Die Reformen, deren sich die Regierung rühmt, sind kraftlos. Niemand scheint in der Lage zu sein, gegen die Logik des Kapitals aufzubegehren oder gegen die simplen Sprüche der Machthaber. Instabil ist diese Gesellschaft, von der wir dachten, sie sei sicher. Menschen, die dachten, sie seien glücklich, werden immer irritierter.“ Auch wenn es so klingt, hier wird nicht das Klagelied vom Niedergang der deutschen Wohlfühlrepublik gesungen. Die Worte über Rezession, Depression und gesellschaftlichem Umbruch gelten Japan.

Kasahara Michiko, Kuratorin am Museum für zeitgenössische Kunst in Tokio, gibt diese Einschätzung über den momentanen Bewusstseinszustand ihres Heimatlandes. In einem solchen Klima spiele die Kunst eine wichtige Rolle. Soll sie doch die Gegenwart reflektieren und gleichzeitig eine Vorahnung von der Zukunft vermitteln. Am besten mit dem Anspruch verbunden, die Welt ein kleines bisschen zu verbessern. So befindet Kasahara im einleitenden Essay des Katalogs zur Ausstellung „Out of the Ordinary / Extraordinary: Japanese Contemporary Photography“, die mit elf Fotokünstlern und -künstlerinnen im Museum für Ostasiatische Kunst gastiert.

Den Auftakt macht Sawada Tomoko. Zwei großformatige Fotografien zeigen jeweils eine Gruppe von Mädchen in quietschbunten Kleidchen, mit grellem Make-up und ambitionierten Frisuren. Es ist die Künstlerin selbst, die sich hier zum Gruppenporträt addiert und mal die ahnungslose Lolita mit Schmollmund, mal die aufgebrezelte Straßengöre mimt. In einer anderen Serie beschäftigt sich Sawada mit der in Japan nach wie vor lebendigen Tradition der arrangierten Hochzeit. In Fotostudiomanier fotografiert sie sich in klassischen Kimonos, mit schüchternem Gesichtsausdruck oder unterwürfigem Lächeln. „Omiai“ nennt sich die Art des Fotobildnisses, mit dem sich eine Braut ihrem zukünftigen Bräutigam und mehr noch dessen Familie vorstellt. Dazwischen stellt Sawada Varianten, die subtil die Vorstellungen untergraben oder sich über sie hinwegsetzen. Omiai-Fotografien im emanzipierten Businesskostüm oder im Leopardenfellmantel sind wohl nicht jedes Schwiegervaters Geschmack.

Persönliche Individualisierung und die Position des Einzelnen in der Gruppe bilden das gemeinsame Thema der in Form und Technik sehr verschiedenen Fotoarbeiten. Den Ausbruch aus der hermetischen Gesellschaft Japans bildet auch Motoda Keizo ab. In seiner Street Photography aus Osaka oder Tokio nimmt er die Farbe aus dem urbanen Gewimmel von Punks, Geschäftsleuten und Obdachlosen. Er fokussiert die ihm Entgegenkommenden, die aggressiv oder neugierig auf seine Kamera reagieren. Motoda lichtet die Störungen im unaufhörlichen Fluss des Fußgängerverkehrs ab, wenn plötzlich ein Bewusstloser auf dem Gehweg liegt oder Polizisten eine Gruppe von Gaffern auflösen.

Ishiuchi Miyako versucht, im Augenblick des drohenden Verschwindens ihrer Mutter näher zu kommen. Monochromen Bildern von Kleidern und Negligés stellt sie Ausschnitte des nackten Körpers entgegen. Die faltige Haut der beinahe neunzigjährigen Frau korrespondiert wiederum mit Farbfotos von dekorativ ornamentierten Lippenstifthülsen. Aus den verschiedenen Details manifestiert sich aber nicht mehr als ein Indizienbeweis für die Existenz der Mutter. Ishiuchi stellt dabei die Frage, wie man einen nahe stehenden Menschen überhaupt kennen lernt und wie sich dieses Wissen in der Erinnerung speichern lässt.

Der Japanologe Alexander Hofmann hat die Ausstellung clever in die ständige Sammlung des Ostasiatischen Museums integriert, wenn nicht dort versteckt. Da nimmt dann plötzlich eine klassische Kalligrafie den Kontakt mit einer Schattenfotografie von Sugiura Kunié auf.

Die Fotografin Yokomizo Shizuka bittet um voyeuristischen Einblick in die Privatheit. Mit „Lieber Fremder“ sind die Briefe überschrieben, die sie ihr tatsächlich unbekannten Leuten schickt, die sie darin bittet, zu einem ganz bestimmten Termin die Vorhänge ihrer Wohnungen zurückzuziehen und sich durch die Fenster fotografieren zu lassen. Yokomizo steht zum angekündigten Termin draußen vor der Scheibe und schießt ihr Bild. Diejenigen, die an der Aktion teilgenommen haben, erhalten später einen Abzug per Post. Die Fotografin aber verschwindet wieder in der Anonymität, während die Fremden für den Moment eines Schnappschusses zu Bekannten geworden sind.

„Out of the Ordinary / Extraordinary“, Museum für Ostasiatische Kunst, Lansstr. 8, Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa., So. 11–18 Uhr, bis 14. August, Katalog 10 €