: Obdachlos in Brooklyn
UNGEWÖHNLICHES DUO Der Festsaal Kreuzberg wird heute zum Versuchslabor aus Rhythmus und Reim. Heute trifft dort der New Yorker Rap-Experimentator Sensational auf den japanischen Noise-Produzenten Koyxen
VON TIM CASPAR BOEHME
Manche Musiker beglücken die Öffentlichkeit in schöner Regelmäßigkeit mit Klängen, die so kaputt wirken, dass man geneigt ist, sich ernsthaft Sorgen um den Gemütszustand ihrer Urheber zu machen. Oft stellt sich dann aber heraus, dass hinter den abwegigsten Klängen mitunter sehr höfliche und zivilisierte Menschen stecken, die im alltäglichen Umgang kaum auffällige Züge aufweisen.
Der New Yorker Experimentalrapper Colin Julius Bobb alias Sensational hingegen, der heute gemeinsam mit dem japanischen Noise-Elektroniker Koyxen im Festsaal Kreuzberg zu Besuch ist, hat eine Karriere voller Ecken, Kanten und Abstürze hinter sich. Zugleich kann er für sich beanspruchen, zu den verschrobensten Vertretern seines Fachs zu gehören.
Jungle-Brothers-Gast
Schon als Teenager konnte er die Kollegen des legendären HipHop-Trios Jungle Brothers mit seinen Fähigkeiten am Mikrofon begeistern und wurde – unter dem Namen Torture – für das Album „J. Beez Wit the Remedy“ von 1993 verpflichtet, um anschließend solo weiterzuarbeiten. Unterstützung bekam er unter anderem von der New Yorker Produzentenlegende Bill Laswell, einer der zentralen Figuren der experimentellen Downtown-Szene Manhattans.
Laswell machte ihn auch auf Musik jenseits von HipHop aufmerksam. Während andere Rapper ihre Texte auf Funk- und Soul-Samples reimten, ließ sich Sensational von ausgefalleneren Vorbildern inspirieren und rappte etwa zu den abstrakten elektronischen Konstrukten des Komponisten Karlheinz Stockhausen. Die Tracks für sein Debütalbum „Loaded With Power“ von 1997 nahm er mit einem Billig-Cassettenrecorder auf, was ihn zum ersten Lo-Fi-Rapper machte, der sein Genre durch psychedelisch anmutende Sprachkaskaden und rumpelnde Beats revolutionierte. Weitgehend unter Ausschluss eines breiten Publikums: Für große kommerzielle Erfolge war seine Vorstellung von HipHop zu radikal.Um das Jahr 2000 herum allerdings kam es zum heftigen Absturz: Cobb wurde cracksüchtig, verlor seine komplette Musiksausrüstung und landete schließlich auf der Straße.
Fünf Jahre blieb er obdachlos, wegen öffentlichen Drogenkonsums steckte ihn die Polizei mehrmals ins Gefängnis. Doch Cobb berappelte sich, nahm weiter Platten auf, zum Teil mit neuen Musikern.
Eine seiner ambitioniertesten Kollaborationen wurde „Sensational meets Kouhei“ von 2006, ein Album voll brummelig verstolperter Elektronik, das er zusammen mit dem im japanischen Osaka geborenen Elektroniker Kouhei Matsunaga einspielte. Vor zwei Jahren erschien ein kunstvoll lärmendes Nachfolgeralbum des ungewöhnlichen Duos.
Matsunaga, der unter Projektnamen wie Koyxen, NHK oder NHK’Koyxen veröffentlicht, studierte zunächst Architektur und ließ sich von Techno und HipHop beeinflussen. Sein Spektrum reicht von Noise und Ambient bis zu HipHop und avancierter Laptop-Elektronik. Zu seinen Partnern zählten unter anderem der japanische Noise-Pionier Merzbow oder der vergleichsweise stille Hamburger Klangkünstler Asmus Tietchens.
Wie der in Berlin lebende Matsunaga ohne Mitstreiter klingt, kann man aktuell sehr schön auf seinem neuen Album „Dance Classics Vol. 1“ hören. Die durch und durch vertrackten rhythmischen Miniaturen dürften zwar eher Ausdruckstänzer als partywillige Clubbesucher in Bewegung versetzen, doch zeigen sie den gelegentlich auch vor schroffen Frequenzen nicht zurückschreckenden Musiker von einer verspielteren, fast zugänglichen Seite, die einen gewissen Sinn für Humor erkennen lässt und diskret für Dynamik im Kopf sorgt.
Wer übrigens nach der Begegnung von Sensational und Koyxen heute Abend nicht genug bekommen haben sollte, der dürfte am 25. Mai im .HBC noch einmal auf seine Kosten kommen. Dann lädt nämlich Matsunagas Label PAN zur großen Künstlerschau, bei der NHK’Koyxen neben gleichgesinnten Elektronik-Tüftlern wie Heatsick oder Lee Gamble zu hören ist.
■ Sensational meets Koyxen, heute, 21 Uhr, Festsaal Kreuzberg; PAN Label Night, 25. 5., 22 Uhr, .HBC
NHK’Koyxen: „Dance Classics Vol. 1“ (PAN/Morr Music)