: Der Coup des Kanzlers
Die Sozialdemokraten holen sich markterfahrene Chinesen ins Wahlkampf-Boot
BERLIN taz ■ Nach verheerenden Umfrageergebnissen, Vertrauensfrage samt Neuwahlen und einem Wahlbündnis von links zieht Bundeskanzler Gerhard Schröder jetzt die Reißleine: Einer sichtlich überraschten Schar handverlesener Journalisten kündigte der Kanzler am Freitag in Berlin die Abgabe des angeschlagenen Regierungsgeschäfts an den taiwanesischen Mischkonzern BenQ an. Die Chinesen proben mit der Übernahme der maroden Regierungspartei den Einstieg in den europäischen Politikmarkt, für die SPD markiert der Ausstieg eine radikale Wende ihrer Politik, die noch vor wenigen Wochen niemand für möglich gehalten hätte.
Die SPD verabschiedet sich damit fast vollständig aus dem politischen Endkundengeschäft und konzentriert sich in Zukunft auf Programmarbeit und Beratung. Ein strategischer Paukenschlag, mit dem Schröder eine neue, kompromisslose Linie für die Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts vorgibt. Den unwägbaren Risiken des politischen Tagesgeschäfts will sich die SPD nicht länger aussetzen.
Die Politikbranche sei eine Raubritterindustrie, glaubt DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, der auch bis zuletzt mit der SPD über einen Einstieg verhandelt hatte. „Jedes Quartal wird eine neue Sau durchs globale Dorf getrieben – und jedes Quartal kannst du mit deinen Politikvorhaben völlig danebenliegen.“
Schon in der Vergangenheit hatte sich die Traditionspartei mit der Regierungsverantwortung schwer getan. So löste etwa Wolfgang Clements Idee, in das Sponsoring der Formel eins einzusteigen, heftige Diskussionen aus. Im Bundesvorstand kam es zu besorgten Debatten über die Folgen eines Unfalls: „Dann brennt ja das SPD-Logo.“
Noch unter dem SPD-Kanzler Willy Brandt basierte die Parteistrategie auf einem breit gefächerten Politikangebot. „Unser Handeln dient dem Menschen und der Gesellschaft“ lautete damals das Motto der Sozialdemokraten, die damals vom Volks- auf den Mehrdemokratiewagen umstiegen.
Doch seit Schröders Regierungsübernahme 1998 lief es nicht mehr rund – nie waren alle Politsparten gleichermaßen erfolgreich, irgendwo klemmte es immer. Ende der Neunzigerjahre etwa traf es die Gesundheitspolitik. Sparprogramme im Gesundheitswesen und Kommunikationsfehler erwiesen sich als fatale Mischung. Schröder tauschte Minister aus und brachte ein Reformpaket auf den Weg. Eine der wenigen Erfolgsstorys der SPD – heute zählt die Gesundheitssparte unter Leitung von Ulla Schmidt wieder zu den wenigen Aktivposten der Regierung.
Um den eigenen Ministern Dampf zu machen, hatte Schröder schon Anfang des Jahres allen Ressorts knallharte Vorgaben gemacht. Bislang erfüllt aber nur jedes zweite die Zielmargen. Besonders das einst lukrative Bau- und Verkehrsressort unter dem ostdeutschen „König des Komas“ (taz), Manfred Stolpe, schlidderte von einer Pleite zur nächsten. Das Mautdesaster im Jahr 2003 riss das größte Loch in Schröders Finanzplanung. Auch auf der Programmseite zog Schröder die Zügel an. Jedes Ressort sollte Trendsetter werden und mindestens der Jugend Alternativen zu Paris Hilton, Jamba und Manga bieten – doch aus den ehrgeizigen Zielen wurde nichts.
All das macht den Ausstieg aus dem Tagesgeschäft plausibel. Und doch kann es für die SPD gravierende Folgen haben. Seit Anfang des neuen Jahrtausends hat die Partei mehr Sparten aufgegeben als jede andere deutsche Partei. Bereiche wie Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden ausgegliedert oder in Joint Ventures eingebracht – und damit wurde immer auch „ein Stück weit sozialdemokratischer Identität aufgegeben“, wie Vorstands-Trainee Andrea Nahles gern vor den Kameras der internationalen Presse beklagt.
In der Öffentlichkeit spielte der aussichtslose Kampf gegen die Windmühlen der Arbeitslosigkeit zuletzt die größte Rolle und prägte das Image der gesamten Partei. Mit der Trennung von der verlustreichen Regierungsverantwortung manövriert Schröder die Sozialdemokratie fast vollständig aus der breiten öffentlichen Wahrnehmung. Der Partei ein neues Profil zu geben, wird nun zu einer der wichtigsten Aufgaben des Parteivorstandsvorsitzenden Franz Müntefering.
Welche Botschaft bleibt für Parteimitglieder, Funktionsträger und Wähler? Schröders Coup mag kurzfristig für bessere Umfrageergebnisse sorgen und einen politischen Neuanfang erleichtern. Doch ob die neue Strategie die verunsicherten Mitglieder zu Höchstleistungen anspornen kann, ist fraglich.
Die SPD hat in schwierigen Zeiten schlicht das Handtuch geworfen – den Wahlkampf überlässt die Partei nun kurzerhand den Chinesen. Man darf gespannt sein, ob Merkels CDU dem Coup des Kanzlers etwas entgegenzusetzen hat.
RÜDIGER KIND