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Archiv-Artikel

Die Zeit mit Suzy

CAMPING In „Moonrise Kingdom“ schickt Wes Anderson zwei verliebte Zwölfjährige auf die Reise. Auch hier funktionieren die Familien nach ihren eigenen Regeln.

Kein Zufall ist, dass die Kinder auch hier wieder einmal erwachsener agieren als die Erwachsenen und auch erdverbundener

VON ECKHARD HASCHEN

Einen eigenen Stil hat so mancher Regisseur, aber kaum einer erschafft sich mit seinen Filmen so konsequent ein eigenes kleines Universum wie Wes Anderson. In der Regel genügt ihm hierzu ein einziger Schauplatz – ein Internat in „Rushmore“, ein New Yorker Stadthaus in „Die Royal Tenenbaums“, ein Forschungs-U-Boot in „Die Tiefseetaucher“ oder ein durch Indien fahrender Zug in „Darjeeling Limited“ – welcher stets von allerlei exzentrischen Figuren bevölkert ist. Diese sind vorzugsweise Mitglieder einer dysfunktionalen Familie und fast immer ist Bill Murray mit von der Partie. Mit leichten Modifikationen gilt all dies auch für „Moonrise Kingdom“, Andersons gerade in Cannes heftig umjubelten siebten Spielfilm.

Ort der Handlung ist diesmal New Penzance, eine fiktive Insel irgendwo vor der Küste Neuenglands (gedreht wurde auf Prudence, Rhose Island). An deren einem Ende residiert in einem ehemaligen Leuchtturm die Familie Bishop, am anderen hat ein khakifarbene Uniformen tragender Pfadfindertrupp sein Sommerlager aufgeschlagen.

Bei beiden herrscht helle Aufregung, denn Suzy (Kara Hayward), die zwölfjährige Tochter der Bishops ist ebenso verschwunden wie der gleichaltrige Sam Shakusky (Jared Gilman), der exzentrische Außenseiter der Boy Scouts. Die zwei, die sich im vorigen Sommer – wir sind im Jahr 1965 – kennengelernt und sich seither Briefe geschrieben hatten, wollen sich auf halber Strecke treffen, um für ein, zwei Wochen ganz für sich in ihrem Moonrise Kingdom im Einklang mit der Natur zu leben. Während Sam unter anderem mit einem Luftgewehr ausgerüstet ist, hat Suzy außer einem Fernrohr und ein paar Büchern aus der Schulbibliothek auch noch ihre Katze sowie einen tragbaren Plattenspieler dabei.

So entwaffnend unschuldig sich die jugendlichen Ausreißer bei ihren ersten zarten Gehversuchen in der Liebe anstellen, so unbeholfen bis schrullig agieren die Erwachsenen beider Parteien bei der Suche nach ihnen: Da versucht Frances McDormand als Gattin von Bill Murray eine Affäre mit dem örtlichen Polizisten (Bruce Willis) geheim zu halten. Da scheucht Edward Norton als Gruppenleiter die kleinen Pfadfinder mit militärischem Drill und holt sich schließlich Verstärkung in Gestalt von Jason Schwartzman und Harvey Keitel. Sehr markant sind auch die Auftritte von Bob Balaban als Erzähler des Ganzen und Tilda Swinton, die hier einfach nur Social Services heißt, und den armen Sam nicht nur ins Heim stecken, sondern ihn womöglich gar einer Elektroschockbehandlung zuführen will.

Mehr als genug Gründe also, sich auch hier auf die Seite der runaway lovers zu stellen, denen es die Gesellschaft so schwer macht, einen Platz für ihre Liebe in ihr zu finden – die das Kino in Nicholas Rays „They Live By Night“, Arthur Penns „Bonnie & Clyde“ oder Jean-Luc Godards – im Sommer 1965 gedrehten – „Pierrot le fou“ dafür aber umso inniger in sein Herz geschlossen hat. Und tatsächlich bezieht sich Anderson hier mit seiner satten Farbgebung ganz direkt auf „Badlands“ von Terrence Malick.

Dass Anderson nach wie vor ein großes Faible für Referenzen hat, lässt sich schon daran ablesen, dass sein Titel von „Frank Borzages“ 1948er Melodram „Moonrise“ inspiriert ist und an einer Stelle ein Buch namens „Coping with the very Troubled Child“ zu sehen ist, das mit dem berühmten Design von „Bonjour Tristesse“ illustriert ist. Eine gewisse Verwandtschaft mag man sogar mit Ingmar Bergmans „Die Zeit mit Monika“ erkennen, die aber genauso gut auch rein zufällig entstanden sein kann.

Kein Zufall ist dagegen, dass die Kinder auch hier wieder einmal erwachsener agieren als die Erwachsenen selbst – und zudem auch erdverbundener. Womit sich Andersons ansonsten sehr geschlossenes Universum ein wenig mehr zur Welt hin öffnet.