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Archiv-Artikel

Komplexe Klang-Kollision

MBALAX-TECHNO Begeistert von der ebenso komplexen wie tanzbaren Polyrhythmik des Mbalax hat sich der Berliner Technoproduzent Mark Ernestus in den Senegal aufgemacht. Herausgekommen ist das Projekt „Jeri-Jeri“ mit senegalesischen Mbalax-Musikern

Überbordende Komplexität trifft konzentriertes Interesse an Reduktion

VON ROBERT MATTHIES

Es waren zwei bemerkenswerte Gleichzeitigkeiten, die den umtriebigen Berliner Techno- und Dub-Produzenten Mark Ernestus – unter anderem gemeinsam mit Ex-Palais Schaumburg-Drummer Moritz von Oswald Mitgründer der beiden vor allem in den 90ern einflussreichen Techno-Labels Basic Channel und Chain Reaction und Inhaber des wegen seines emsigen Austauschs mit der Detroiter Szene stilprägenden Plattenladens Hard Wax – am Mbalax so fasziniert haben. Auf einem Festival hörte er die im Senegal und in Gambia weit verbreitete westafrikanische Tanzmusik bei gambianischen DJs: Schwer greifbar war deren durch allerlei synchron oder bis ins Chaos gegeneinander gespielte Trommelsequenzen entstehende Polyrhythmik, zugleich ging sie sofort in Beine und Arme. Komplex und anspruchsvoll war die Musik, gleichzeitig klang sie leicht und wie ohne Anstrengung gespielt.

Dass über Mbalax in Europa allerdings nicht allzu viel herauszubekommen ist, merkte der Berliner Elektronik-Minimalist nach etlichen Youtube-Videos und dem akribischen Durchforsten afrikanischer Plattenläden in Paris schnell. Und machte sich kurzerhand selbst in den Senegal auf, um mehr über die Musik und ihre Hintergründe in Erfahrung zu bringen.

Denn entstanden ist der Mbalax-Sound dort Anfang der 70er aus einem gleichzeitigen Rück- und Vorwärtsschritt. Bis dahin wurde in den Clubs und Bars und auf den Straßenfesten des frankophonen Landes vor allem lateinamerikanische Musik wie Soca oder Salsa gespielt. Nun begannen Bands wie Youssou N’Dours Ètoile de Dakar oder Raam Daan um den aus dem legendären Orchestra Baobab kommenden Sänger Thione Ballago Seck auf der Suche nach einer neuen Musikidentität die europäischen, nord- und südamerikanischen Einflüsse mit elektronischen Instrumenten und vor allem der uralten Musiktradition der senegalesischen Serer zu fusionieren. Statt auf Spanisch und Französisch sangen sie in der am weitesten verbreiteten senegambischen Sprache Wolof, die Congas ersetzten sie durch die meist zugleich mit Hand und einem Stock geschlagenen Sabar-Trommeln der Griots, der traditionell endogamen Kaste der Geschichtenerzähler, Poeten, Musiker, Sänger und Oral-Historiker.

Über Radio und Audiokassetten verbreitete sich der neue Klang schnell, heute ist Mbalax bei weitem die populärste Tanzmusik Senegambias, ist in Clubs ebenso zu hören wie bei religiösen Feiern, Hochzeiten oder Geburtstagen. Und auch heute steht Mbalax für die eigentümliche Mischung aus Rückbesinnung und Offenheit für Neues, längst halten Hip-Hop und Techno ebenso Einzug wie Zouk, Highlife und Coupé-Décalé.

Kennengelernt hat Ernestus die ganze Vielfalt des Mbalax in Dakar und der Regional-Hauptstadt Kaolack durch Bakane Seck, Mitglied einer der großen Griot-Familien und Sohn eines der bedeutendsten Sabar-Trommel-Lehrer des Landes. Enstanden ist daraus schnell eine intensive Zusammenarbeit. Im Prince Arts Studio in Dakar versammelten Ernestus und Bakane Seck für das Projekt Jeri-Jeri einige der versiertesten senegalesischen Mbalax-Musiker wie Cada Seck, Babacar Seck, Lay Lo oder die Sängerin Mbene Diatta Seck. Schnell war dabei klar, dass es zwischen basslastiger repetitiver Maschinenmusik und polyrhythmischem Mbalax allerlei Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten für einen musikalischen Dialog gibt: auf der einen Seite überbordende Komplexität, auf der anderen Seite ein konzentriertes Interesse an Reduktion. Entsprechend fruchtbar ist die Zusammenarbeit bereits gewesen. Mit „Mbeuguel Dafa Nekh“ ist auf Ernestus’ neu gegründetem Label Ndagga bereits eine EP mit der Gastsängerin Mbene Diatta Seck erschienen, nächste Woche folgt mit „Xale“ bereits die nächste und ein Album ist natürlich auch längst in Arbeit.

Am Montagabend präsentieren Mark Ernestus und Jeri-Jeri – von denen einige wegen nicht erteilter Visa leider zu Hause bleiben mussten – ihre rasante und unbedingt tanzbare Klang-Kollision auf der Stubnitz. Üben sollte man bis dahin zu Hause schon mal ein paar Mbalax-Tanzschritte. Grob geht es darum: Gleichzeitig alle Gliedmaßen gegenläufig durch die Luft wirbeln und zugleich perfekt auf die Rhythmen und Breaks abstimmen. Macht mit Sicherheit ordentlich Muskelkater. Und löst garantiert jede Verspannung.

■ Mo, 28. 5., 20 Uhr, MS Stubnitz, Strandkai (Hafencity)