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Archiv-Artikel

Ganz ohne göttliche Hilfe

PREMIERE Mit einer reduzierten, aber großartigen Inszenierung der Tragödie „Orestie“ von Aischylos beendet das Theater Bremen die Spielzeit im Neuen Schauspielhaus

Die Tragödie bleibt ein Stück aus der Antike – und hat uns dennoch was zu sagen

VON JAN ZIER

Am Ende siegt die Demokratie, der Rechtsstaat. Und zwar, anders als im antiken Original von Aischylos’ „Orestie“, ganz ohne göttlichen Beistand. Zwar ist’s ein Freispruch zweiter Klasse, den Orest – der Muttermörder, der Rächer seines Vaters – da erfährt. Und doch ist er frei. Die Monarchie überwunden, und mit ihr: die Blutrache, die individuelle Selbstjustiz.

„Ihr sollt gemeinsam handeln.“ Mit diesem Appell endet eine großartige Inszenierung der griechischen Tragödie, Höhe- und Schlusspunkt der aktuellen Schauspielzeit im Theater Bremen. Verantwortlich dafür ist Alice Buddeberg, die hier zuletzt Rainer Werner Fassbinders Film „In einem Jahr mit 13 Monden“ auf die Bühne gebracht hat und früher schon mal durch eine fulminante Inszenierung von Heiner Müllers „Material 1 & 2“ sehr positiv aufgefallen ist.

Nun also wieder ein Klassiker, noch dazu einer mit gar komplizierter Geschichte. Sie beginnt, kurz gesagt, mit König Agamemnon, der seine Tochter Iphigenie opfert, um die Götter und Winde milde zu stimmen für den Krieg gegen Troja. Als er nach zehn Jahren siegreich heimkehrt, hat sich sein Frau Klytaimnestra von ihm ab- und dem jungen Aigisth zugewandt. Gemeinsam ermorden sie Agamemnon, aus Rache für Iphigenie. Sie sieht das als ihr Recht, fast schon als selbstverständlich an, leidet aber hernach an Alpträumen. Bis sie selbst Orest zum Opfer fällt, ihrem Sohn, der den Mordplan gemeinsam mit seiner Schwester Elektra ausheckt und hernach dem Wahnsinn verfällt. Doch stellt er sich am Ende dem Gericht der Athener Bürgerschaft, dass nun zwischen Klytaimnestras Schatten und Orest die Frage von Recht und Unrecht, Schuld und Sühne zu entscheiden hat. Die Abstimmung endet im Patt – und Orest entgeht dem Todesurteil.

Bei Buddeberg darf diese monumentale Tragödie ein Stück aus der Antike bleiben – und hat uns heute dennoch viel zu sagen. Ja, sie zwingt uns geradezu zum Nachdenken über all jene Fragen, die dem Stück zugrunde liegen. Zugleich entzieht sich das Stück hier einer einfachen Beantwortung der Schuldfrage.

Die Inszenierung entgeht der Gefahr einer allzu klassischen Umsetzung – die am Ende doch nur totes Theater brächte, vor uns stünde wie eine Vase im Museum. Die Regisseurin verzichtet aber auch auf allzu plumpe Anspielungen aufs aktuelle Griechenland, ja, überhaupt darauf, mit einer radikal-experimentellen Modernisierung das Stück selbst zu schänden. Dafür stellt sie die Chronologie auf den Kopf, damit die althergebrachte Dramaturgie der Geschichte. Das erschwert zwar deren Verständnis, fokussiert aber Inhalt und Botschaft ganz ungemein. Ebenso erspart die Regie uns – welch Wohltat! – optischen Schnickschnack oder Effekte aus dem Eventkino. Obwohl wir es hier ja mit einer Oper der Gewalt zu tun haben. Nur die Lautstärke ist manchmal an der Grenze dessen, was gut und erträglich ist.

Wie schon die Synthesizer-Musik von Stefan Paul Götsch, so kommt auch das Bühnenbild von Sandra Rosenstiel sehr reduziert daher. Es gleicht dafür das Neue Schauspielhaus einem antiken Amphitheater an und bringt die ZuschauerInnen dorthin, wo sonst die Bühne ist. Diese „Orestie“ ist ein durch und durch konzentriertes, minimalistisches und gerade dadurch eindringliches und ungemein dichtes Werk, das ganz auf die Kraft, das Leben jener vertraut, die’s auf die Bühne bringen.

Das funktioniert – zumindest meistens. Zwar hat Eva Gosciejewicz als Klytaimnestra Schwächen, auch Franziska Schubert macht als Elektra keine ganz authentische Figur. Doch der Rest des Ensembles überzeugt, allen voran Siegfried W. Maschek, der als Klytaimnestras Schatten brilliert, in sehr eindringlicher Weise. Varia Linnéa Sjöström hat diesmal leider nur eine Nebenrolle. Dort kann man gleichfalls beeindrucken, das beweisen auch Gerhard Palder oder Susanne Schrader und Johanna Falckner. Sie erzählen die Geschichte der Trojanischen Krieges, liefern dabei, mit sich zunehmend überschlagender Stimme, eine wunderbare Satire auf heutige Kriegsberichterstattung. Dafür gibt’s zu recht Szenenapplaus.

Den übrigens hätten sich auch die drei Erzähler des Fluchs der Tantaliden verdient. Tantalos, der Urgroßvater des Agamemnon, wurde einst wegen seiner Hybris von den Göttern verflucht, und mit ihm seine Familie. Bei Martin Baum, Philipp Michael Börner und Timo Lampka erscheint das als „schmerzhafte“, indes „alternativlose Strukturreform“ der Götter. Und als sehr gelungene Persiflage auf die Krisenrhetorik der Politiker. Zugleich ist es ein subtiler Kommentar auf die aktuelle Debatte um Griechenland.

Diese ErzählerInnen bleiben die einzigen Momente der Modernisierung an diesem Abend, sieht man mal davon ab, dass die Geschichte hier vom Ballast des Mythisch-Göttlichen befreit wird. Das ist gut so. Und wird vom Premierenpublikum zurecht gefeiert.

Nächste Termine: 26 und 31. Mai, jeweils 20 Uhr, 3. Juni, 18.30 Uhr