: Wenn der Regen kommt
SORGEN Fadimata Haïballa ist vor dem Krieg im Norden Malis geflohen. Im Flüchtlingscamp wankt das Rollenbild der Tuareg-Frau
TUAREG-FRAU FADIMATA HAÏBALLA
AUS FERRERIO, BURKINA FASO KATRIN GÄNSLER
Ab und zu streicht Fadimata Haïballa etwas Sand von ihrer blau-gelben Matte. Der Wind trägt ihn in das Zelt, das an zwei Seiten offen ist. Er bringt ein wenig Erfrischung nach den langen Wochen, in denen es im Norden Burkina Fasos unerträglich heiß war. Häufig zeigt das Thermometer über 45 Grad Celsius an. Doch gleichzeitig kündigt der Wind die Regenzeit an, die in ein paar Tagen, spätestens aber in wenigen Wochen mit voller Wucht beginnt. Fadimata schüttelt den Kopf. Wie es dann hier in Ferrerio, einem der größten Flüchtlingscamps in der Region, sein wird, will sie sich nicht vorstellen. Sie wird bleiben müssen, wenn sich der feine Sand in riesige Schlammlöcher verwandelt.
„Es wäre zu gefährlich, jetzt nach Mali zurückzukehren. Ich habe Angst vor dem Krieg“, sagt die Flüchtlingsfrau. Was sich im Moment in ihrer Heimat, dem Norden von Mali, abspielt, kann sie nur erahnen. Doch die spärlichen Nachrichten machen ihr Sorgen. Seit Mitte Januar ist die Region umkämpft. Auslöser war die Rebellion der Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad (MNLA) gegen die Regierungsarmee. Die Soldaten merkten schnell, wie mächtig die MNLA ist. In der Hauptstadt Bamako folgte der Putsch, und am 6. April rief die MNLA ihren eigenen Staat Azawad aus. Wie so viele wollte Fadimata weg. Aus Angst, auch wenn sie die Unabhängigkeit Azawads unterstützt.
Besser ist es seitdem nicht geworden, im Gegenteil. Seit der Unabhängigkeitserklärung ist auch deutlich geworden, wie stark sich radikale Gruppen bereits im Norden ausgebreitet haben und nun ebenfalls Forderungen haben. Zum Leid der Menschen, die noch vor Ort sind: Die Infrastruktur ist weitgehend zusammengebrochen, internationale Organisationen berichten von massiven Menschenrechtsverletzungen und Vergewaltigungen.
Vor Fadimatas Zelt, in dem ein Erwachsener kaum aufrecht stehen kann, warten zwei Frauen auf sie. Fadimata begrüßt sie auf Tamashek, der Sprache der Tuareg, tauscht ein paar Höflichkeiten aus und bittet sie herein. Die Frauen hocken sich zu ihr, sie wollen mit ihr reden. Fadimata ist die Sprecherin der Frauen im Flüchtlingscamp von Ferrerio, genießt hier Ansehen und hat vielleicht eine Lösung, einen Rat für sie parat. Doch Fadimata hat keinen.
Drei Monate Unsicherheit
Das, was die Besucherinnen quält, beschäftigt auch sie seit mehr als drei Monaten – seitdem sie in Burkina Faso ist: „Wann verbessern sich die sanitären Bedingungen hier? Gibt es genügend Wasser? Und vor allem: Wie geht man mit der Nahrungsmittelkrise um? Ich fürchte, dass sich die Lage weiter zuspitzt und immer katastrophaler wird.“ Dabei habe man sie und die übrigen Flüchtlinge – mittlerweile sollen mehr als 160.000 Malier in die Nachbarländer geflohen sein, allein 46.000 nach Burkina Faso – gut aufgenommen. Sie ist froh über die Hilfe des Staates und die Unterstützung der Organisationen, die in den Camps arbeiten.
Fadimata spricht ruhig und deutlich, aber ihre Stimme klingt kraftlos. Dabei wirkt sie wie eine zielstrebige Frau, die sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen lässt. In einer Ecke ihres Zeltes hat sie mehrere große Hartschalenkoffer gestapelt, die ihren früheren Wohlstand in Mali erahnen lassen. Ihre Familie habe immer viel Vieh gehabt und gehandelt, sagt Fadimata. Da sie gleich zu Beginn der Tuareg-Rebellion geflüchtet sind, konnten sie Kamele, Ziegen und Esel aus der Nähe von Gao in Mali nach Burkina Faso treiben. Im Moment sind die Tiere in der Nähe des Flüchtlingscamps untergebracht.
Das Zelt auf- und abbauen; Kochgeschirr, Kleidung, Bett verstauen; die Tiere zusammentreiben und weiterziehen. Für eine Tuareg-Frau ist das kein Problem, auch wenn Fadimata mittlerweile zu jenen Nomaden gehört, die nicht mehr das ganze Jahr über in ihren großen Föderationen, die sich aus mehreren Großfamilien zusammensetzen, durch den Norden Malis ziehen. Pragmatische Gründe seien es gewesen, sagt Fadimata. Heute würden viele wollen, dass die Kinder zur Schule gehen. Doch jetzt ist sie wieder mit ihrem Hab und Gut unterwegs. „Bei uns herrscht ein Krieg ohne Gnade. Wie soll ich verantworten, mit meiner Familie dort zu bleiben?“
Ein kleines Mädchen will sich neben sie ins Zelt setzen. Fadimata scheucht es nach draußen. „Es soll zu den anderen Kindern gehen, habe ich gesagt.“ Ob es ihre Tochter ist, sagt sie nicht. Es wäre auch egal. In Ferrerio hat sie längst nicht nur die Verantwortung für die eigenen Kinder, sondern auch für 31 weitere Menschen, die mit ihr gekommen sind. „Meine Familie ist hier, die Familie meines Vaters. Außerdem haben wir noch Kinder von anderen Verwandten und Freunden mitgenommen. Ihre Eltern sind noch in Mali. Doch die Kleinen sollten in Sicherheit gebracht werden.“
Jetzt sollte sie dafür sorgen, dass alle genügend zu essen bekommen, die Kinder eine Ausbildung erhalten, die Einnahmen sinnvoll angelegt werden. Es sind ihre Aufgaben als Tuareg-Frau: „Wir halten die Familien zusammen und organisieren sie.“ Früher habe sie wenig darüber nachgedacht. Die Verantwortung sei normal gewesen, sie habe sie sich bei ihrer Mutter und den Großmüttern abgeschaut. Jetzt mischt sich Stolz darunter, gleichzeitig wird ihr das ganze Dilemma dieser Verantwortung bewusst.
Stolz ist sie, weil ihr bewusst ist, wie unabhängig sie ist – wäre nicht der Krieg in ihrer Heimat und die Flucht nach Burkina Faso dazwischengekommen. Beides macht sie tatenlos. Denn als Tuareg-Frau habe sie sich schließlich bisher nicht so schnell etwas von den Männern sagen lassen. Sie hätten gar nicht das Recht dazu gehabt. Das würde sie auch jetzt nicht tun, obwohl die islamistische Gruppe Ansar Dine in einigen Städten des Nordens genau das durchzusetzen versucht. Ansar Dine will die Scharia einführen und diese besonders scharf auslegen. Wenn die Gruppe es schafft, würde das bedeuten, dass sich jede Frau verschleiern muss. Für Fadimata wäre das ein Rückschritt. Sie ist zwar Muslimin und trägt ein Kopftuch, doch das sei ihr eigener Wunsch. „Schau, die Frau, die dort Wasser holt“, sagt sie. Fadimata zeigt auf sie. Ihre kleinen, fein geflochtenen Zöpfe wackeln beim Gehen. „Niemand kann uns befehlen, dass wir unsere Haare verhüllen müssen. Diese Entscheidung trifft jede Frau selbst.“ Deshalb empfindet sie die Forderung der Radikalen als großen Widerspruch zur Tuareg-Tradition. Wie stark Ansar Dine ist und was die MNLA im Moment macht, das interessiert sie jedoch nur einen kurzen Augenblick, bis sie wieder in ihrem Alltag in Ferrerio ist.
Wo sie das, was sie eigentlich tun müsste, schon seit Monaten nicht mehr machen kann – ihren Pflichten nachkommen. „Ich sollte die Kinder in die Schule schicken, aber ich kann es nicht“, sagt sie. In Ferrerio, das vor dem Ansturm der Flüchtlinge ein kleines Dorf war, gibt es zwar eine Grundschule mit drei Klassen. Doch in die würden nur die Kinder des Dorfes, die Burkinabè, gehen können. „Unsere verlieren mindestens ein Jahr, vielleicht auch noch viel mehr. Es weiß ja niemand, wie lange es mit dem Norden noch dauern wird.“ Und sie weiß nicht, was sie ihrer Familie heute Abend zu essen machen soll. Dabei soll das Welternährungsprogramm doch Lebensmittel verteilen. Sie sagt: „Wir gehen oft hungrig schlafen. Es gibt Tage, an denen wir gar nichts essen können.“
Aus einem Nachbarzelt kommt eine Frau zu Fadimata. Das Gespräch verläuft ähnlich wie das mit den vorherigen Besucherinnen. Es geht wieder ums Essen und darum, wie sie die kommenden Wochen hier durchstehen sollen. Darüber würden die Männer zwar auch sprechen, wenn sie in den Zelten sitzen, aber nur am Rande. Sie diskutieren die große Politik, schmieden Pläne, wie ihr Staat Azawad nun endlich anerkannt werden könnte, und verteufeln die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, weil sie gegen die Unabhängigkeit ist. „Die Männer haben es im Moment viel leichter. Sie belasten sich nicht mit den alltäglichen Fragen, die uns Frauen quälen. Es sind nicht ihre Aufgaben.“ Auch Fadimata will so schnell wie möglich wieder nach Hause, in ihre Heimat, nach Azawad. Trotzdem hält sie sich aus dem politischen Geschehen heraus.
Nur zum Schluss kommt ihr dann doch noch eine Idee. „Eure Bundeskanzlerin ist doch eine Frau“, sagt sie. Warum würde Angela Merkel nichts unternehmen, damit sich die Lage der Frauen von Azawad endlich ändert? „Kann sie nicht intervenieren, irgendetwas tun? Als Frau muss sie doch verstehen können, wie wir uns fühlen. Wie wir leiden.“ Fadimatas Stimme ist laut geworden. Hoffnungsvoll klingt sie noch immer nicht.