: „Jede ist ein bisschen bi“
Muslimische Lesben – gibt’s die überhaupt? Eine Plakataktion des LSVD stiftet fruchtbare Irritation in Berlin. Ist das der Aufbruch migrantischer Frauen gegen das Patriarchat in der eigenen Community?
VON NATALIE TENBERG
Das Plakat prangt an einer Werbewand am Moritzplatz. Bestes Berliner Multikultigebiet. Gelb ist es gehalten, auf dem Foto sind junge Frauen zu sehen: „Cigdem ist lesbisch, Vera auch!“ Und nicht nur am Moritzplatz, auch an der Sonnenallee, an der Karl-Marx-Straße, beim Kaufhaus am Hermannplatz, am Kottbusser Tor: Überall bleiben Menschen vor dem Riesenposter stehen – und nicken beifällig. Manche schütteln den Kopf, die meisten aber gucken es beiläufig, unberührt – und neugierig an: „Finde ich okay“, sagt Kenan, 29, arbeitsloser Computermonteur, türkischstämmig, „selbstverständlich muss man tolerant sein und modern.“ Er persönlich kenne keine Lesbe, „aber meine Schwester könnte ja auch so sein“.
Emine, 51, Deutsche türkischer Herkunft, stellt ihre Einkaufstasche zur Seite und mischt sich ein: „Ist das super.“ Lacht in die Runde und teilt mit: „Von uns ist jeder ein bisschen bi. Und wenn man jung ist, probiert man alles aus.“ Ein paar Straßen weiter, an der Karl-Marx-Straße, mitten in Neukölln. Der Bezirk, in dem selbst deutsche Multikultis es vermeiden, sich niederzulassen. Die schwule Variante des Plakats („Kai ist schwul, Murat auch“) wurde vor einem Jahr noch übel beschmiert, mit Hasssprüchen wie „Arschficken nur deutsch“. Vor dem Plakat, das auf Initiative des Miles, des Migrantenzweigs vom Lesben- und Schwulenverband, zustande kam, stehen auch hier Menschen und können ihre Neugier kaum zügeln: „Schöne Mädchen“, sagt ein Mann und geht wieder weg, ein „ist super“, noch hinterherrufend.
„Wir sind in Deutschland“
Drei Mädchen mit ziemlich prunkigen Kopftuchgebirgen auf den Köpfen lassen sich befragen: Findet ihr das toll? Kennt ihr muslimische Lesben hier in Berlin? Die eine, Ibti, 26, sagt zu Amini, 18: „Ist doch kein Ding.“ Die Dritte, Amira, 20, setzt ihre Sonnenbrille cool ab und ergänzt: „Eine Freundin von uns hat uns neulich erzählt, dass sie lesbisch ist. Sie hat probiert, anders zu werden, hat aber nichts genützt. Jetzt will sie so sein, wie sie ist. Okay, klar?“ Ihre Freundinnen nicken mit leuchtenden Augen.
Und das ist das verblüffende an der aufklärerisch, ein wenig provokant gemeinten Aktion: dass sich auf den Postern kein Hass austrägt. Okay, einer, aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft, meckert beim Vorbeilaufen das „krank“ heraus, ein anderer sagt „die armen Mädchen“ – aber den Sound liefert ein Mann, der Erol heißt, sein Alter mit 38 angibt und als Beruf Taxifahrer nennt. Sagt lapidar: „Wir sind freie Menschen. Und wir sind in Deutschland.“
Was aber hat sich geändert seit einem Jahr? Sind in muslimisch geprägten Quartieren Lesben gesellschaftsfähiger als Schwule? Kaum denkbar. Aber: Seit der schwulen LSVD-Aktion machen sich auch in den Migrantenvierteln jene stark, die keine Parallelgesellschaft sein wollen – und sich offenbar ermutigt fühlten. Die Debatten, weitgehend unbemerkt von der Mehrheitsgesellschaft, werden hitzig geführt: Und es scheint ein günstige- res Klima der Toleranz zu wachsen.
Ein Jahr, in dem migrantische Bürgerrechtlerinnen wie Seyran Ates das Wort ergriffen und aus Frauensicht ihre Welt erklärten: dass der Vorwurf, Kritik an der Parallelgesellschaft könne rasch rassistisch sein, falsch sei. Ates und viele andere Frauen haben durch ihren Verzicht auf den Schutz der, wie sie sagen, Multikultiszene den Blick auf die Verhältnisse hinter den Wohnungstüren ermöglicht. Die übliche Perspektive diente wohl vor allem Männern, nicht Frauen. Und sie haben damit den Sprachlosen gegen patriarchale Verhältnisse eine Stimme gegeben: Wie auch Bestsellerautorinnen wie Ayaan Hirsi Ali („Ich klage an“) bei muslimischen Frauen mächtige Resonanz finden.
Die Debatte geht weiter …
… überall, zunächst vor allem in Berlin. Heute Abend sprechen im Rathaus Schöneberg auf Einladung des LSVD Frauen miteinander, die sonst viel zu selten, und wenn, viel zu oberflächlich im Gespräch sind: „Frauen- und Homosexuellenrechte – eine Herausforderung für die Integration?“ Auf dem Podium sitzen Emine Demirbüken-Wegner, CDU, Seyran Ates, Anwältin aus Berlin, Evrim Helin Baba, Parlamentarierin in Berlin, Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur, Sanem Kleff, Leiterin des Projekts „Schule ohne Rassismus“, sowie Eren Ünsal, Sprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg.
Die Homoaktionen haben in Berlin die steinernen Multikultiverhältnisse heftig belebt: dass Lesben nun die Eisbrecher sind, ist vielleicht am allerbesten.
18 Uhr, Rathaus Schöneberg, Berlin. Moderation: Martin Reichert (taz)