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Archiv-Artikel

Der eilige Kanzler

Gerhard Schröder stellt ein Buch von Erhard Eppler vor, redet viel und sagt wenig. Denn Epplers Thesen treffen ins Herz des rot-grünen Debakels

VON STEFAN REINECKE

Dies sei ein Termin, sagt Gerhard Schröder forsch, „zu dem man gerne geht“. Er soll im ARD-Hauptstadtstudio ein Buch des Parteiintellektuellen Erhard Eppler vorstellen. Die Parteiintellektuellen sind in der SPD eine aussterbende Spezies: Egon Bahr und Erhard Eppler sind um die 80, Peter Glotz ist im Rentenalter und Nachwuchs nicht in Sicht.

Schröder hat Eppler etwas zu verdanken, deshalb wohl diese Buchvorstellung. Eppler hat ein Kunststück zuwege gebracht. Er ist ein kluger Mann, er versteht es, alle Argumente abzuwägen – und trotzdem hat er Schröders Kurs, vom Kosovokrieg bis zur Agenda 2010, stets gestützt. Manchmal war Eppler der einzige Schröder-treue Sozialdemokrat, dem eine skeptische Öffentlichkeit überhaupt noch zuhören wollte. Obwohl Eppler dem Kanzler also gute Dienste geleistet hat, war gestern nichts davon zu merken, dass Schröder „gerne“ hier war. Seltsam kühl wirkte er, so als würde er einen Pflichttermin hinter sich bringen. Und das war kein Zufall.

Epplers „Auslaufmodell Staat?“ (erschienen bei Suhrkamp) stellt die zentrale politische Frage: Was kann Politik angesichts des entfesselten globalen Kapitals eigentlich noch tun? Was kann ein Nationalstaat noch leisten, der vom internationalen Kapital erpresst wird?

Eppler hat darauf eine paar bedenkenswerte Antworten. Etwa, dass Staaten – siehe 11. September – gebraucht werden, weil die moderne Infrastruktur so verletzlich für Terrorangriffe geworden ist. Dass die Demokratie kaputtgeht, wenn die Wähler den Politikern nicht mehr zutrauen, etwas am Selbstlauf des Marktes zu ändern. Dass, was der Nationalstaat nicht mehr kann, in der EU aufgehoben werden muss. Und dass die Frage, ob die EU mächtig genug ist, dem globalen Kapital Spielregeln abzupressen, vielleicht entscheidend für die Demokratie in Europa wird.

Eppler redet kurz und sagt viel. Schröder redet lang und sagt wenig. Ein paar routinierte Angriffe auf die CDU, ein Seitenhieb auf Blair. Ein Bekenntnis zur politischen EU und eines zum Staat, der effektiv sein müsse, aber nicht übermächtig sein dürfe. Wer würde da widersprechen? So wurde es nichts mit dem Diskurs zwischen Macht und Intellekt. Warum?

Es lag nicht, wie ein weit verbreitetes Vorurteil meint, daran, dass für Schröder intellektuelle Debatten immer Auswärtsspiele sind. Er kann, wenn er will – aber gestern wollte er nicht. Epplers Thesen sind einfach zu dicht an dem rot-grünen Desaster, an seinem Desaster. Was ist die Neuwahlinszenierung anderes als eine Kapitulation der Politik vor widrigen Umständen?

So hat Eppler, ohne es zu ahnen, das Passepartout für die Selbstaufgabe von Rot-Grün entworfen. Er beschreibt den Teufelskreis, in dem sich Politik bewegt – zwischen den Ansprüchen der Bürger, den schwindenden Möglichkeiten, Steuern aufzutreiben, und dem wachsenden Misstrauen der Wähler. Er beschreibt eine Art strukturelle wie selbst erzeugte Überforderungen des Staates und der Politik in den Zeiten der Globalisierung. Vielleicht ist dies, neben den bekannten handwerklichen Fehlern, der wesentliche Schlüssel, um den rot-grünen Suizid zu verstehen. So lange Rot-Grün für die Frage, woran es gescheitert ist, nur ein Achselzucken übrig hat, so lange wird es nicht mehr als ein Auslaufmodell sein.

All das schwang irgendwie, um es so präzise wie möglich zu sagen, gestern im ARD-Hauptstadtstudio mit, aber es kam nicht zur Sprache. So redete Schröder viel – und schwieg noch mehr. Kein Wimpernschlag verriet, dass hier sein Debakel beredet wurde und dass Eppler versucht, die furchtbare Leere, die Schröders Politik in den Köpfen der Sozialdemokraten hinterlassen hat, wieder zu füllen.

„Die Politiker“, so Eppler, „sind nicht schuld an ihrer Machtlosigkeit. Aber sie reden nie davon, was sie tun können und was nicht.“ Weil sie sich dies nicht trauen, dreht sich die Spirale von Politikverdrossenheit und Überforderung immer weiter.

Wen Eppler meinte, war klar – auch den Kanzler, der sich so gerne als Macher präsentiert. Aber der war schon längst wieder gegangen. Eilig, sehr eilig hatte Schröder sich mit einer knappen Geste der Entschuldigung verabschiedet. „Das Amt ruft, ich muss wieder regieren“, sollte diese Geste bedeuten. Regieren?