piwik no script img

Archiv-Artikel

Nur ein Schuss fehlt noch

Deutschland trotzt Argentinien im letzten Gruppenspiel ein 2:2 ab, was Bundestrainer Jürgen Klinsmann einen seiner Klinsmann-Sätze sagen lässt: „Es war ein enormer Schritt nach vorne“

AUS NÜRNBERG MARKUS VÖLKER

Jürgen Klinsmann ist Angreifer, immer noch. Er schießt gern, jetzt verbal. Vor ziemlich jedes Substantiv setzt er einen „Schuss“. Und wenn der Schuss nicht ausreicht, um Wirkung zu erzielen, dann ergänzt er das Wörtchen „enorm“. Sollte auch dieser Effekt ins Leere gehen, dann packt er ein „ganz, ganz“ aus und fügt einen Superlativ hinzu. Mit diesen Ingredienzen der Schönrede tritt der rhetorisch begabte Angreifer Klinsmann vor die Presse und huldigt dem deutschen Erfolgsfußball. „Ich bin sehr zufrieden, auch wenn’s nicht ganz geklappt hat mit dem Sieg“, sagte der Stürmer im schwarzen Anzug und weißem Hemd in Nürnberg nach dem 2:2-Unentschieden gegen Argentinien im Konföderationen-Pokal.

„Es war ein enormer Schritt nach vorne, vor allem was das taktische Verhalten anbelangt“, sagte der wieder einmal vor Optimismus übersprudelnde Trainer. Seine Mannschaft habe die Räume eng gemacht und sich „seitlich ganz, ganz hervorragend verschoben“. Nur dieser Schuss habe gefehlt, dieser „letzte Schuss Überzeugung, das Ding noch zu klären“, dieser „Schuss Überzeugung“ müsse immer mehr wachsen, damit man gegen die Großen was Tolles erreiche. So ein Schuss Überzeugung kann stramm sein, er hätte gegen die Argentinier wie an einer Schnur gezogen daherkommen können, aber die Südamerikaner um ihren Trainer José Pekerman hätten das nicht zugelassen, „weil ein Schuss Hochachtung vor dieser Mannschaft bei uns mitgespielt hat“, wusste Bundestrainer Klinsmann ehrfürchtig zu berichten.

Man darf nicht vergessen, dass auch im Spiel der Deutschen gegen die Argentinier geschossen wurde, es wurde sogar wunderschön geschossen. Die Elf in Weiß-Blau-Schwarz schoss zwölfmal aufs Tor von Timo Hildebrand, der Gegner schoss sechs Schüsse. Die schöneren Schüsse gelangen der argentinischen Elf. Riquelme, bester Mann auf dem Platz, zirkelte einen perfekten Freistoß ins Tor, allerdings stand die deutsche Abwehrmauer schlecht. Cambiasso erzielte aus zwanzig Metern seinen ersten Treffer für die Auswahl seines Landes – und auch dieses Geschoss besaß Format. Auf der Gegenseite hatten Kevin Kuranyi und Gerald Asamoah geschossen – und enorm getroffen.

Man hatte auch den einen oder anderen Schuss des Spielers Michael Ballack erwartet, aber der schoss nicht, weil er sich einen Schuss Erholung auf der Bank gönnte. Der Kapitän sah vom Spielfeldrand zu, wie in der ersten Halbzeit Bernd Schneider die Kapitänsbinde trug und im zweiten Abschnitt Torsten Frings. Die Aufstellung der DFB-Elf provozierte die Frage: Schießt Klinsmann da nicht über das Ziel hinaus? Nein, nein, dementierte dieser nach dem Spiel, Ballacks Bankdrückerei sei „bewusst von uns so gewollt“ gewesen. So, so. Die Verantwortung sollte auf mehrere Schultern verteilt werden, der Trainerstab wollte sehen, wie es ohne den „Leader“, so Klinsmann, funktioniere, nachdem Boulevardzeitungen die Spielstärke des führungslosen Teams auf Regionalliganiveau angesetzt hatten.

Klinsmanns Team konnte die Vermutungen der Yellow Press dementieren – was keine Überraschung war. Im Fußball moderner Prägung kommt es nicht mehr auf einen Spieler allein an. Die Ballack-Diskussion ist typisch deutsch. Sie hat viel mit der Sehnsucht nach einem Führungsspieler zu tun. Heutzutage laufen elf Führungsspieler auf, und wer den Ball hat, wird zum doppelten Führungsspieler.

Die DFB-Elf hatte am Dienstagabend nicht sehr viel Zeit, um ihre Führungsqualitäten auszuspielen. Nur 18 Minuten hielten sie den Ball in ihren Reihen, die Argentinier kamen immerhin auf 29 Minuten. Das spricht für die Effektivität der deutschen Fußballer, aber auch für ihre deutliche Unterlegenheit im Mittelfeld. Vor allem in Halbzeit zwei zogen die Akteure Argentiniens vortreffliche Kombinationen auf, zwängten der deutschen Elf ihr Spiel auf, konnten sich allerdings im gegnerischen Strafraum nicht durchsetzen, weil die teutonischen Abwehrrecken Robert Huth und Per Mertesacker keinen Spaß verstanden. Also tobten sich die quirligen Aimars, Tevez und Riquelmes im Mittelfeld aus und tunnelten die Deutschen ein ums andere Mal. In dieser Wertung stand es nach 90 Minuten 5:0.

„Ich habe hier mit einer Mannschaft gespielt, die absolut auf der Höhe war“, lobte Riquelme seine Mitspieler, die sich laut Coach Pekerman in einem ähnlichen Entwicklungsprozess befinden wie die Klinsi-Kicker. Riquelme weiter: „Es ist einfach eine Freude, dass wir so zusammenspielen können und zusammenhalten, das macht Mut für die WM 2006.“ Pekerman sagte, dass er sich nicht über das Fehlen Ballacks gewundert habe, und zog Parallelen zum Spiel beider Teams im Februar, die mehr als angebracht waren. Damals fehlte Ballack verletzungsbedingt, und das Ergebnis war ebenfalls identisch. Dennoch wolle er dieses Spiel hoch einordnen, sagte Pekerman. „Die Mannschaft ist auf einem richtigen Weg, es ist schon jetzt ein großes Team, auch wenn hier und da noch Fehler passieren.“

Das war eine perfekte Steilvorlage für einen Sturmlauf Klinsmanns. „Wir sind stolz auf unsere Mannschaft, stolz auf den Gruppensieg“, sagte der Schwabe. Es sei egal, dass Brasilien im Halbfinale des Confed-Cups nun wohl der nächste Gegner ist. Wichtig sei vielmehr: „Den letzten Schuss Wachsamkeit“ zeigen. Für den Schuss Zufriedenheit. Das wäre enorm.