: „Ein Klima der Denunziation“
LINKE Vor der Neuwahl der Bundesspitze übt Landeschef Lederer Kritik an Nochchef Ernst
■ 37, ist seit 2005 Berliner Landeschef der Linkspartei. Er gilt als Vertreter eines pragmatischen Kurses und war eine der Säulen der bis Herbst 2011 regierenden rot-roten Koalition.
INTERVIEW STEFAN ALBERTI
taz: Herr Lederer, was bedeutet die Wahl am Wochenende für die Berliner Linkspartei? Oder sagt die im Zweifelsfall: Wir machen sowieso unser Ding?
Klaus Lederer: So oder so haben wir das nie gemacht. Wir haben uns immer bemüht, in die Partei hinein auch kulturvolle Kommunikation zu üben, gemeinsamen Erfahrungsaustausch, ohne zu denunzieren.
Als Sie noch mitregierten, haben Sie oft Dresche auf Bundesebene bekommen – und sich doch nicht von Ihrem Kurs abbringen lassen.
Wir haben versucht, selbstbewusst Politik zu machen und dennoch offen zu sein für sachliche Kritik und Lernprozesse. Aber in der Tat gab es auch schon in den letzten Jahren immer wieder Momente, in denen Kritik in Denunziation umschlug. Da war es schwer, von solidarischem Miteinander zu reden. Wir haben versucht, uns davon nicht irre machen zu lassen.
Ihr Tipp: Wer wird gewählt?
Ich habe keine Kristallkugel, habe jedoch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich mir vorstellen kann, dass Dora Heyenn und Dietmar Bartsch eine integrative Lösung sein können. Aber auch mit Katharina Schwabedissen und Katja Kipping habe ich einen sehr offenen Umgang und gute Erfahrungen gemacht. So oder so: Wir haben mehrere Kandidaturen, und es gibt eine Wahl. Das finde ich gut. Die Delegierten müssen entscheiden, wer die Partei in einer sehr schwierigen Zeit wieder in einen politikfähigen Zustand zurückbringen soll. Was kann der Berliner Landesverband dazu beitragen?
Wir können Versuche, ein Klima der Angst und der Denunziation zu erzeugen, zurückweisen, indem wir das offen benennen, selbst aber möglichst nicht auf dieses Niveau herabsinken. Wir können uns mit unseren Erfahrungen auch selbst einmischen: Es gibt ja auch Kandidaturen aus unserem Landesverband.
Von Denunziation haben sie nun schon dreimal gesprochen, jetzt auch von Angst – von wem geht das denn aus?
Das können Sie doch im Bericht der taz Hamburg über unsere Regionalkonferenz nachlesen. Wenn Diether Dehm offen über Dietmar Bartsch herzieht, der noch amtierende Vorsitzende Klaus Ernst Bodo Ramelow als „wirr“ bezeichnet und anscheinend noch nicht einmal Lothar Biskys freundliche Kritik aushalten kann, dann werden hier Grenzen überschritten. Gerade eine Person wie Bisky ist hier über jeden Verdacht erhaben.
Wie viele Versuche soll es noch geben, die Rückabwicklung der Linken in West-WASG und Ost-PDS zu verhindern: Ist es nicht Zeit für einen klaren Schnitt?
Ich war immer der Ansicht, dass eine gesamtdeutsche Linke das ist, was in diesem Land gebraucht wird …
… wenn sie denn funktioniert.
■ Die Linkspartei wählt am Wochenende in Göttingen einen neuen Bundesvorstand. Der Reformerflügel drängt vor allem auf Bundestagsfraktionsvize Dietmar Bartsch als neuen Chef. Der linke Parteiflügel hatte sich Hoffnungen auf eine Rückkehr von Exparteichef Oskar Lafontaine gemacht. Der aber will nicht mehr antreten. Ein Platz im Führungsduo ist für eine Frau reserviert. Seit Mai 2010 hatten Klaus Ernst und die im April zurück getretene Berlinerin Gesine Lötzsch die Spitze gebildet. (sta)
Ja, das ist natürlich die Voraussetzung. Ich werde am Wochenende auch alles dafür tun, dass wir mit dieser gesamtdeutschen Linken nicht scheitern.
Was passiert, wenn eine Spitze gewählt wird, mit der Sie gar nicht leben können?
Prinzipiell muss man immer damit leben, dass auch Menschen gewählt werden können, die einem politisch nicht ganz so nahestehen. Wenn die für ein gemeinsames Miteinander stehen, dann wird man am Montag darüber reden können, wie man das miteinander tut.
Und wenn nicht?
Dann müssen wir trotzdem weiter dafür kämpfen, ein Miteinander zu entwickeln, das uns Politik, positive Ausstrahlung und eine erfolgreiche Bundestagswahl ermöglicht.
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