: Müssen Sportschützen entwaffnet werden?JA
SICHERHEIT In Memmingen schoss ein 14-Jähriger mit der Beretta um sich. Auf Volksfesten schießt man aus Spaß – und weil Schützensaison ist. Kritiker finden: Das Waffenrecht ist zu lasch
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Hans-Christian Ströbele, 72, ist Rechtsanwalt und Abgeordneter der Grünen
Es gibt kein Grundrecht auf Waffen. Hunderttausend scharfe Waffen in Privatbesitz sind eine Gefahr: Der Zugriff Dritter ist nicht auszuschließen. Amokläufe haben das gezeigt. Die Gefahr wäre geringer, wenn Schusswaffen zu Hause nur aus zwingendem Grund erlaubt sind: bei Jägern oder besonders gefährdeten Personen. Für Schützenvereinsmitglieder gilt dies nicht. Schon gar nicht für Waffenliebhaber, die im Verein sind, um zu Hause Waffen haben zu dürfen. Sportschützen benötigen Waffen nur am Schießstand. Dort sind sie sicher aufzubewahren. Illegale Waffen sind vielleicht eine größere Gefahr, aber deshalb ja auch verboten. Schusswaffen und Munition sind getrennt aufzubewahren: Die Gefahr stellen ja schussfertige Waffen mit Munition dar. Die Grünen haben im Bundestag beantragt, gemeinsame Lagerung zu verbieten.
Roman Grafe, 43, ist Autor und Sprecher der Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen!“
Es gibt kein Menschenrecht auf Schießsport mit tödlichen Waffen. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit stößt auf Grenzen, wo es das Lebensrecht fahrlässig gefährdet. Das Risiko tödlicher Sportwaffen ist nicht beherrschbar: Seit 1991 wurden in Deutschland mehr als 120 Menschen mit Waffen von Sportschützen erschossen. Private vollautomatische Waffen sind zwar verboten. Doch schießen Sportschützen noch immer mit halbautomatischen Mordwaffen wie Glock (Erfurt 2002/Utøya 2011) und Beretta (Winnenden 2009). Dabei benutzen Sportschützen heute auch erfolgreich weniger gefährliche Druckluft- oder Laserwaffen. Selbst olympische Fünfkämpfer. Auch damit können Schützen ihre Konzentration schulen und Entspannung finden. Und für Kameradschaftsgeist und Spaß braucht es keine Pumpgun oder Walther: In Großbritannien etwa wurden private Faustfeuerwaffen verboten.
Gisela Mayer, 52, ist Ethiklehrerin. Sie verlor ihre Tochter beim Amoklauf in Winnenden
In Deutschland ist der Privatbesitz von Schusswaffen verboten. In privaten Wohnungen befinden sich mehr als 20 Millionen Schusswaffen nebst dazugehöriger Munition. Der mögliche Missbrauch dieser Waffen gefährdet Unbeteiligte. Erfurt, Emsdetten, Winnenden sind Beispiele. Privater Waffenbesitz ist ein Privileg. Für dieses Privileg muss ein Tribut an die Gesellschaft entrichtet werden, und zwar in Form größtmöglicher Sicherheit. Bisher sind jedoch alle Anträge auf eine Änderung des Waffenrechts am Widerstand der Schützenverbände gescheitert. Wer nur seine Freizeitgestaltung im Auge hat, ist gerade das nicht, was er zu sein behauptet – verantwortungsbewusster Bürger. Verantwortung bedeutet auch Beschränkungen hinzunehmen, wenn dies für das Gemeinwohl erforderlich ist. Anstelle konstruktiven Bemühens erleben wir Konfrontation und Erklärungen über die Ungefährlichkeit eines Hobbies. Diese Verantwortungslosigkeit ist der eigentliche Grund dafür, privaten Waffenbesitz in Deutschland zu verbieten.
Bernd Carstensen, 60, ist Vize und Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter
Großkalibrige Kurzwaffen gehören nicht in Privathände. In Winnenden benutzte der Täter eine 9-mm-Pistole, mit der er vom Gang aus durch eine massive Tür schoss. Das Geschoss durchschlug den Körper einer Lehrerin, trat aus und hinterließ ein 4,5 Zentimeter großes Loch im Fensterrahmen. In Erfurt verwendete der Täter eine Großkaliberpistole im Kaliber 9 mm als Tatwaffe und tötete damit auch durch eine geschlossene Tür. Waffen mit dieser enormen Durchschlagskraft sind nicht für Sport und Spaß konzipiert.
NEIN
Joachim Herrmann, 55, CSU-Landtagsabgeordneter und Bayerns Innenminister
Der Staat muss Sorge für die Sicherheit seiner Bürger tragen. Dazu gehört, Vorkehrungen gegen die Gefahr von Waffen zu treffen. Ich warne aber vor allzu schnellen Urteilen, die oft unausgewogen sind: Das Waffenrecht ist in den letzten Jahren immer wieder verschärft worden. Es gelten strenge Regeln: Jeder, der eine Waffe will, wird turnusmäßig auf Zuverlässigkeit geprüft. Zweifel gehen zu seinen Lasten. In den allermeisten Fällen erweist sich dies als ausgesprochen wirksam. Schützenvereine sind nicht nur Teil einer gewachsenen, jahrhundertealten Kultur, sondern leisten auch einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag. In einer Zeit, in der soziale Bindungen schwächer werden und Wertevermittlung wichtiger wird, schaffen sie Zusammenhalt. Ihre Jugendförderung ist vorbildlich: Jugendliche lernen dort Konzentration und Geduld. Ich begrüße, dass bayerische Schützenvereine größten Wert darauf legen, ihre Mitglieder zu sensibilisieren, sorgsam und gewissenhaft mit Waffen umzugehen. Das ist die Grundbedingung für die gesellschaftliche Akzeptanz des Schießsports.
Franzi Dünkel, 24, ist Paintballerin der Cologne Hurricanes 2. Sie lebt in Bamberg
Sportschießen soll ja international als sportlicher Umgang mit Schuss- oder Bogenwaffen gelten, sportliches Schießen bedeutet Schießen nach bestimmten Regeln. Und unser Sportgerät wird dabei zum Markieren der Mitspieler des gegnerischen Teams – mit bunten Farbkugeln – verwendet. Als seit sieben Jahren aktiv spielende Paintballerin in Deutschland frage ich mich oft: Wem soll ich dadurch gefährlich werden? Mit unserem Paintball-Funsport werden oft die Schützenvereine verglichen, denen man schon mit 14 beitreten darf, für Paintball muss man volljährig sein. Trotzdem finde ich Schützenvereine sinnvoll, sie organisieren Jugendveranstaltungen und Feste, viele meiner Freunde freuen sich auf die Wochenenden mit ihren Vereinsmitgliedern. Ich denke, dieser Zusammenhalt, die Tradition, das generationsübergreifende Zusammensein und das Übermitteln von Werten wie dem Respekt vor dem Alter sollte eher gefördert als verboten werden.
Thomas Möhle, 22, ist Student und hat die Streitfrage auf taz.de kommentiert
In den Händen eines Menschen mit böser Absicht kann so ziemlich alles auf diesem Planeten als Waffe missbraucht werden. Hätte der Vierzehnjährige den PKW der Eltern stibitzt und wäre damit in eine Menschenmenge gerast, so wäre die Tat nicht weniger schlimm, aber dennoch käme niemand auf die Idee, das Tatwerkzeug zu verteufeln. Das Waffenrecht in Deutschland ist im internationalen Vergleich bereits extrem scharf. Eine weitere Verschärfung bringt doch in der Praxis nichts. Es gibt schließlich auch gute Gründe, Waffen zu Hause lagern zu dürfen. Jäger übernehmen beispielsweise öffentliche Aufgaben, wenn sie nachts auf der Landstraße angefahrenen Tieren den Gnadenschuss geben.
Duygu Akdere, 24, studiert Philologie und hat die Streitfrage in einem Leserbrief beantwortet
Weder ergibt es Sinn, Sportschützen zu entwaffnen, noch Steuern zu erheben, um Amokläufe zu verhindern. Wenn man Sportschützen entwaffnet, sind es keine Sportschützen mehr. Wenn man Steuern für den Waffenbesitz erhebt oder die Aufbewahrungsbestimmungen verschärft, kommen die wahren Waffenfanatiker trotzdem noch an Waffen. Wer einen Massenmord plant, schafft es, sich Waffen zu beschaffen, Hobbyschützen ebenfalls. Wie wäre es stattdessen, die Probleme an der Wurzel zu packen?