: Mit dem Charme der Unprofessionalität
Kopfschwund in Bremens Kulturlandschaft: Nicht nur das Theater braucht neue Kapitäne, auch Philharmoniker, Weserburg und Kulturressort suchen immer noch nach Führungsfiguren. Auswärtige Kandidaten werden dabei gerne mal verschreckt
Bremen taz ■ Bremens Kultur verliert immer mehr Köpfe. Martin Heller, das Hirn der Hauptstadtbewerbung, ist bereits in die Schweiz verzogen, bei den fest institutionalisierten Akteuren gibt es ebenfalls Erosion. Noch bevor Intendant Klaus Pierwoß das Goetheplatztheater verlässt – 2007 – hört der Chefdramaturg auf: Joachim Klement wechselt nach Düsseldorf. Bremens mit Abstand größter Kulturdampfer verliert damit fast seine komplette Führungscrew.
Was freilich auch an deren Überschaubarkeit liegt. Pierwoß, der sein Haus eigenen Bekundungen zufolge gern monarchisch führt, hat die sonst übliche zweite Ebene weitgehend abgebaut: Das Haus hat keinen Oberspielleiter, und Operndirektor Lawrence Renes ist mehr nominell als mitgestaltend vorhanden. Der übrig bleibende starke Mann ist Verwaltungsdirektor Lutz-Uwe Dünnwald. Und der lancierte unmittelbar nach Pierwoß’ Abgangsankündigung – also zu früh, um damit eine Chance zu haben – den Namen eines Nachfolgers nach seinem Geschmack: Stephan Märki. Schließlich ist der Weimarer Intendant einer, der auch selbst mal die Kulisse aufbaut – wenn die Gewerkschaft wegen seiner Tarifeinschränkungen streikt. Ein Mann, mit dem sich wirtschaften lässt.
Während das Kulturressort noch die Stellenausschreibung formuliert und eine Kommission beruft, werden von der Behörde bereits weitere Leute angesprochen – die es „witzig“ finden, wie sie gefragt werden. Etwa mit verwechselten Namen. Bei der Köpfe-Akquise arbeitet Bremen schon länger mit dem Charme der Unprofessionalität. Unvergessen die Pannen der letzten Kandidatenkür, bei der die Bremer Theaterreferentin mit dem Stuttgarter Friedrich Schirmer – der jetzt das Deutsche Schauspielhaus Hamburg übernimmt – einen verheißungsvollen Kandidaten verschreckte: Sie erkundigte sich bei der örtlichen Presse nonchalant nach seinem Ruf. Solcherart über Schirmers Wechselpläne informiert, brachte sie die Nachricht prompt und die Kandidatur damit zu Fall.
Eine Kleinigkeit, verglichen mit dem Ungeschick des Bürgermeisters: Bekanntlich verkündete Henning Scherf auf einer Vernissage, Stephan Berg vom Hannoveraner Kunstverein werde neuer Direktor des Neuen Museums Weserburg. Dann aber sagte Berg doch noch ab – nach dem er kreidebleich zur Kenntnis hatte nehmen müssen, wie heillos zerstritten die MitarbeiterInnen des Hauses sind. Die Folge fürs Museum: Dessen Stiftungsrat übt sich zum mehrfach wiederholten Mal in geheimer Kandidatenkür, die Folge für Bremen: Auswärtige Kandidaten werden immer bewerbungsunlustiger.
Dem Mangel an Köpfen steht eine entsprechende Ansammlung auf dem Sessel des Kultursenators gegenüber: Bremen hatte in den vergangenen vier Jahren ganze fünf davon. Die Konsequenz: noch ein Kopf fehlt. Denn die Stelle des Kulturamtchefs ist zwar schon länger ausgeschrieben, vorher muss aber noch die zu leitende Verwaltung reorganisiert werden. Mittlerweile hat selbst der Behördensprecher – nach kaum einem Jahr im Amt – das Weite gesucht.
Sicher spielen bei all diesen Vorgängen nicht nur die zerschlagenen Kulturhauptstadt-Hoffnungen eine Rolle, sondern auch natürliche Fluktuation und der in der Stadt (ob in Politik, Kultur oder Universität) sich vollziehende Generationswechsel. Dass aber auch junge Köpfe keine Besserung garantieren, zeigt das Beispiel des Generalmusikdirektors: 2002 wurde der damals erst 30-jährige Renes mit großen Hoffnungen engagiert, jetzt erwartet man – wegen mangelnder Präsenz – mit ebenso ausgeprägter Ungeduld seinen Abgang. Zur Klärung der Nachfolge soll nun zunächst eine Findungskommission gefunden werden. Das andere Bremer Modell heißt „Glocke“: Die künstlerische Leitung des Konzerthauses wurde, nach langer Vakanz, ersatzlos gestrichen.
Henning Bleyl