Welterkundung
: Mann im Gras

Plötzlich bleiben wir stehen: Ein Mann tschilpt und zirpt

„Brumm!“, macht mein zweijähriger Sohn. Dann schiebt er sein Laufrad zehn Zentimeter weiter, genau bis zum nächsten Gänseblümchen. „Mama, warum ist die Plume da ge-helb?“ Ich habe keine Ahnung, warum Gänseblümchen in der Mitte gelb sind. Brumm. Nächstes Gänseblümchen. Zwei Stunden dauert unsere kleine Einkaufstour so schon.

Als wir irgendwann im Supermarkt ankommen, streiten sich zwei Besoffene vor der Fleischtheke – der eine hat Hunger, der andere verfügt offenbar über das Budget – über die Menge an Schweinekamm, die zu kaufen ist. Der Praktikant hinter der Fleischtheke darf noch keinen Schweinekamm hacken, sondern nur Wurst schneiden. Es dauert ewig.

Jetzt schiebt das Kind, das keine Lust mehr hat, sein heißgeliebtes neues Laufrad in Zeitlupe von Blume zu Baum zu Abfalleimer, hat ungefähr so viele Fragen, wie es Grabsteine auf dem Friedhof – die Abkürzung zum Supermarkt um die Ecke – gibt, die Griffe der Plastiktüten haben sich zu fiesen dünnen Schnüren gedreht und schneiden mir in die Handflächen.

Plötzlich bleiben wir gleichzeitig stehen – ein Mann robbt durchs Friedhofsgras, tschilpt und zirpt. Zwei weitere Männer stehen etwas abseits und feuern ihn leise an. Mein Bedarf an Idioten ist für heute eigentlich gedeckt – da sehe ich, dass der Muskelprotz kein verwirrtes Drogenopfer ist, sondern sanft auf einen Kanarienvogel einredet, der immer gerade so viel Distanz zu seinem hünenhaften Verfolger hält, dass der ihn nicht packen kann. Mein Sohn steht wie angewachsen, ich auch. Am Ende steht es eins zu null für den Vogelfänger, seine Freunde johlen, als hätte ihr Team die EM gewonnen. Irgendwie habe ich jetzt auch wieder gute Laune. Sogar das Kind ist ruhig: leise mit sich selber über das gerade Gesehene diskutierend, schiebt es sein Laufrad an mindestens fünf Gänseblümchen vorbei. ANNA KLÖPPER