: Die Grenze überschritten
URTEIL Im Zuge einer Abschiebung drang die Delmenhorster Polizei im vergangenen Sommer in eine Privatwohnung ein – unberechtigterweise, urteilte jetzt das Verwaltungsgericht Oldenburg
Der Einsatz war rechtswidrig. Wie gestern das Verwaltungsgericht Oldenburg urteilte, hätte die Polizei im vergangenen Sommer nicht in eine Delmenhorster Wohnung eindringen dürfen mit dem Ziel, einer abzuschiebenden Person habhaft zu werden. Das Vorgehen trug aus Sicht der Richter deutliche Anzeichen einer Hausdurchsuchung – dafür aber hätte es am richterlichen Beschluss gefehlt.
Am 8. Juli 2011 betraten acht Polizisten das Wohngebäude der Familie Mujaj, die 1993 aus dem Kosovo nach Delmenhorst gekommen war. Auf der Suche nach dem 28-jährigen Fitim Mujaj, dessen Abschiebung beschlossen war, überprüften sie Wohn- und Kellerräume, den Dachboden sowie ein Nebengebäude – ohne den Gesuchten zu finden. Dessen Mutter reichte Klage ein: Die Beamten konnten keinen Durchsuchungsbeschluss vorweisen, und sie, die Wohnungsinhaberin, hatte nicht ihr Einverständnis gegeben.
Die Polizei berief sich auf Paragraf 24 Absatz 5.2 des niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes: Danach darf eine Wohnung betreten werden - in der Annahme, eine gegen das Aufenthaltsrecht verstoßende Person befinde sich darin. Eine Durchsuchung sei das damals nicht gewesen, sagte gestern eine Vertreterin.
Der Rechtsbeistand der Klägerin, der Bremer Anwalt Jan Sürig, sah das ganz anders: Es seien Bereiche überprüft worden, in denen sich Menschen frühmorgens normalerweise nicht aufhielten, es sei denn, sie verstecken sich. Auch seien zwei 14-jährige Enkel der Klägerin geweckt und nach ihrer Identität befragt worden. Es habe sich somit um die „ziel- und zweckgerichtete Suche nach einer Person gehandelt“, sagt Sürig – und das allein reiche aus, um von einer Durchsuchung ausgehen zu können.
Dieser Auffassung schloss sich das Gericht nach nur kurzer Beratung an. Die Grenze zwischen Begehung und Durchsuchung einer Wohnung sei in diesem Fall überschritten worden. Delmenhorsts Ausländerbehörde trägt nicht nur die Kosten des Verfahrens, sondern wird ihre künftige Vorgehensweise wohl prüfen müssen – und nicht nur sie: Auch in anderen Behörden berufe man sich in solchen Fällen oft auf den genannten Paragrafen, hieß es. Es könne sein, sagte der Richter, dass „der Gesetzgeber es sich ein bisschen zu einfach gemacht hat“. MAIK NOLTE