: Der Pfad der Tugend
Die Pädagogik der CDU ist veraltet, kommt aber gut an
An nordrhein-westfälischen Schulen soll bald wieder Zucht und Ordnung einkehren. Mit Kopfnoten, die Disziplin, Fleiß und Engagement der SchülerInnen beurteilen, wollen CDU und FDP die Eleven wieder auf den Pfad der Tugend zurückführen. Zu schlimm sei der Sittenverfall nach vier Jahrzehnten sozialdemokratischem „Laissez-faire“ in der Bildungspolitik, erklärt der ehemalige bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Bernhard Recker.
Dass Pädagogen und Bildungswissenschaftler über diese Rückkehr zu lange überwunden geglaubten Erziehungsformen nicht einmal schmunzeln können, scheint in der neuen Landesregierung jedoch niemanden zu stören. Im Gegenteil. In fast schon bewundernswerter, stoischer Überzeugung glauben die neuen Herren in Düsseldorf, dass die Ziffern aus „Rabauken“ Musterknaben machen – „allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz“, wie Simone Seitz, Erziehungswissenschaftlerin der Uni Dortmund, erklärt.
Die Kritik der Wissenschaftler ist vielfältig: angefangen von der Frage, wie man überhaupt objektiv und ohne Lehrer-Willkür die Tugendhaftigkeit der SchülerInnen bewerten wolle, bis zum Hinweis, dass die Benotung sicher nichts an den Ursachen mangelnden Sozialverhaltens ändern werde. „Kopfnoten setzen nur an der äußersten Schale des Problems an“, findet Seitz. Stattdessen müsse man die Erziehungsmöglichkeiten der Schulen ausbauen – etwa durch den konsequenten Einsatz von Schulpsychologen oder durch die bessere Vernetzung von Schulen und Lebenswelt der SchülerInnen. Das fordert auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die merkt nebenbei an, dass Schulen schon heute beschließen könnten, Kopfnoten einzuführen. „Doch nur die wenigsten tun das“, heißt es bei der GEW.
Recker und seine Parteifreunde sehen das naturgemäß anders. Die Schulen hätten geradezu gefordert, die Noten verpflichtend einzuführen, „um den Schülern Defizite aufzeigen zu können“. Und noch ein Argument hat Recker parat: Leistungsschwache SchülerInnen hätten auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen, denn durch gute Kopfnoten könnten sie andere Defizite kompensieren.
Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz – die CDU hat mir ihrer Tugend-Initiative den Nerv der Zeit getroffen: 82 Prozent der Deutschen sind laut Emnid dafür, die in den 70er Jahren abgeschafften Wohlverhaltensnoten wieder einzuführen.
ULLA JASPER