Der Gute und der Beste

Nicolas Kiefer kann im Drittrundenspiel von Wimbledon gegen Titelverteidiger Roger Federer lange mithalten und verliert am Ende doch – auch Florian Mayer und Alexander Popp scheiden aus

AUS WIMBLEDON DORIS HENKEL

Zu den Geheimnissen eines glücklichen Lebens gehört es, bei der Arbeit das Gefühl nicht zu übersehen. Gemessen an dieser Maxime hat Nicolas Kiefer Samstagnachmittag in Wimbledon das Richtige getan. Sechs Jahre nach seinem ersten Spiel auf dem Centre Court erlebte er auch das zweite mit Gänsehaut. Als es vorbei war, meinte er: „Ich wäre gern länger geblieben“ – aber dazu hätte er im Spiel der dritten Runde gegen Roger Federer mehr gewinnen müssen als nur einen Satz.

Kiefer verlor 2:6, 7:6, 1:6, 5:7, doch es gibt keinen Zweifel, dass er dem Titelverteidiger und aktuellen Schlossherrn Wimbledons zu schaffen machte. Darauf lässt Federers Kommentar schließen, der versicherte, das Spiel sei so hart gewesen, wie er sich das vorgestellt habe. Und auch der des grauen Weisen John McEnroe, der das Spiel für die BBC kommentierte und Kiefer dabei lobte, dass es dem in den Ohren geklungen haben muss. Um die letzte Stufe als Herausforderer zu betreten hätte er bei 5:3-Führung und eigenem Aufschlag den vierten Satz gewinnen müssen. Aber im Moment der drohenden Gefahr legte Federer zu – es ist ja genau diese Fähigkeit, die die Guten von den Besten unterscheidet –, packte seine besten Schläge aus, und keine zehn Minuten später stand das abschließende Ergebnis auf der großen elektronischen Tafel.

Natürlich musste sich Kiefer darüber ärgern, aus einer solchen Situation nicht mehr gemacht zu haben. Dennoch meinte er, die Erkenntnisse des Spiels seien eine Hilfe auf seinem weiteren Weg. „Ich habe gesehen, dass ich mit Roger Federer mithalten kann; ich habe ihn in Bedrängnis gebracht. Ich muss einfach weiter daran arbeiten, dass ich konstant auf diesem Level spiele“. Genau darin liegt das Problem, darin lag es eigentlich immer; aber zumindest schwankt er jetzt auf höherem Niveau.

Es war der Tag des einerseits und andererseits im deutschen Tennis, inhaltlich und zeitlich zusammen gefasst; Nicolas Kiefer, Florian Mayer und Alexander Popp spielten fast zur gleichen Zeit und verloren kurz nacheinander. Mayer tröstete sich nach der Niederlage gegen Juan Carlos Ferrero (6:3, 2:6, 1:6, 1:6) mit der Hoffnung, Wimbledon möge für ihn der Wendepunkt in diesem bisher enttäuschenden Jahr gewesen sein. Spielt er weiter so wie im ersten Satz kann er das Niveau des Jahres 2004 wieder erreichen, aber die beiden letzten Sätze gegen den starken Spanier waren in ihrer Deutlichkeit ein Hinweis darauf, wie groß der Abstand zur grundsoliden Konkurrenz noch ist. Und Alexander Popp? Der fand nach der Niederlage gegen den kalifornischen Russen Dimitri Tursunow (7:5, 6:7, 2:6, 2:6): „Wenn man ein halbes Jahr nicht gespielt hat, dann ist die dritte Runde nicht schlecht. Wenn ich jetzt zu negativ nach Hause fahren würde, dann wäre das nicht richtig“. Wenn er sich nach der verpassten Gelegenheit allerdings nicht ärgern würde, wäre es genauso falsch.

Obwohl er sich von Anfang an müde fühlte war Popp bis Ende des zweiten Satzes der dominierende Mann. Bis zu jenem Moment beim Stand von 5:5, als er eine riesengroße Chance zum Break verpasste, einen Elfmeter ohne Torwart sozusagen. Tursunow war nahe der rechten Seitenlinie ausgerutscht, das ganze Spielfeld lag offen vor Popp, doch dessen geschobener Vorhandball landete ein Stückchen hinter der Grundlinie. „Blöd gelaufen“, wie er ungewohnt salopp meinte. „Wenn ich den Ball noch zehnmal spiele, spiele ich ihn zehnmal rein“.

Im Frust über den Fehlschlag verlor Popp den Tiebreak dieses Satzes, und danach fehlte ihm vor allem die geistige Frische, sich noch zu wehren. Nach zweimal Viertelfinale und dem Achtelfinale im vergangenen Jahr diesmal also der Abschied in Runde drei, aber dennoch kein Zweifel an einer stabilen, fast romantischen Beziehung. „Wimbledon“, sagt Popp, „war für mich immer das größte Turnier, und das wird es auch bleiben.“

Soweit der deutsche Beitrag anno 2005, im Einzel zumindest. Im Doppel sind Rainer Schüttler und Alexander Waske noch tätig. Immerhin.