Fluss und Fische ersticken an Algen

Ungiftig aber überdüngt: Das nächste Fischsterben in der Elbe droht. In der tiefen Fahrrinne verrottende Biomasse entzieht dem Wasser Sauerstoff und lässt die Fische japsen. Ökologische Lage schlechter als in den 90er Jahren, warnen Umweltschützer

von Gernot Knödler

Das Sauerstoffloch in der Elbe ist wieder da. Nach der Wiedervereinigung, als sich die Wasserqualität rapide verbesserte, hatte es ein paar Jahre lang so ausgesesehen, als würde sich dieses Problem erledigen und der Anblick kieloben treibender Fische der Vergangenheit angehören. Heute wird weniger Gift in den Strom geleitet und das Abwasser vorher geklärt. Paradoxerweise hat das einen Rückschlag bewirkt.

Kaum hat der Sommer wirklich begonnen, ist der Sauerstoffanteil im Elbwasser an der Station Seemannshöft unter den Wert von drei Milligramm pro Liter gesunken. Das ist die Grenze, an der die Fische nach Luft zu schnappen beginnen. Der Sauerstoffanteil hatte sich innerhalb einer Woche halbiert. „Das nächste Fischsterben“ befürchtet der Förderkreis „Rettet die Elbe“.

Mitteilungen der Umweltbehörde über den guten Zustand des Stroms halten die Umweltschützer für irreführend. Zwar sei es schön, wenn die Behörde 101 Fischarten in der Elbe zähle. Doch wenn 95 Prozent der Individuen Stinte seien, zeige das, wie prekär der Bestand der übrigen Arten sei. Auch mit der Feststellung, die Elbe sei so sauber wie vor 100 Jahren, sei den Fischen nicht geholfen, wenn der Sauerstoff fehlt.

Wie einem Bericht der Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe (Arge Elbe) zu entnehmen ist, gehört beides zusammen: Die Sauerstofflöcher der 80er Jahre entstanden im Wesentlichen dadurch, dass in Tschechien und der DDR große Mengen an Stoffen wie Ammonium und Ammoniak in den Strom gelangten. Unter Verbrauch von Sauerstoff verwandelten sie sich im Wasser in den Algen-Nährstoff Nitrat.

Die Wende halbierte diese Menge und senkte den Sauerstoffverbrauch drastisch. Zugleich sank aber auch die Giftzufuhr, die das Algenwachstum bisher im Zaum gehalten hatte, und die neuen Kläranlagen leiteten bereits in Nitrat verwandeltes Ammonium in den Fluss. Die Algen gediehen von Jahr zu Jahr besser – und verendeten in Massen, sobald sie in Hamburg ins seeschifftiefe Wasser schwappten. In der tiefen Fahrrinne fehlt es ihnen an Licht, um Photosynthese betreiben zu können. Ihr Abbau verbraucht Sauerstoff – das Loch ist wieder da. Die Fachleute sprechen von „Sekundärverschmutzung“.

Die Folgen demonstriert der Biologe Ludwig Tent an den Fangzahlen für Meeresforellen im Nebenfluss Seeve. Zwischen 1991 und 1999 lagen sie sehr viel höher als zwischen 1984 und 1990, seit 2000 nur wenig darüber. Das Sauerstoffloch, davon ist Tent überzeugt, erschwert es den Meeresforellen, zu ihren Laichgründen zu gelangen.

Die Arge kommt zu dem Fazit: „Derzeit muss der Sauerstoffhaushalt der Elbe im Sommer bei Hamburg als ‚überlastet‘ bezeichnet werden – mit Sicherheit neben den Nährstoffeinträgen auch eine Folge der morphologischen Veränderungen, die im Laufe der letzten 100 Jahre an der Tideelbe eingetreten sind.“

Zu diesen gehört neben der Flussvertiefung von ungefähr drei auf mehr als 15 Meter das Zerstören flacher Stellen wie des Mühlenberger Lochs, in denen die Algen einen Sauerstoffüberschuss produzierten. „Rettet die Elbe“ kritisiert, dass bei der Unterhaltung der Fahrrinne rücksichtslos gebaggert und verklappt werde. „Statt Jubelmeldungen der Behörden und Plänen, durch eine weitere Vertiefung den Zustand der Elbe zu verschlechtern, erwarten wir einen Vorschlag des Senats, wie der Sauerstoffhaushalt der Elbe in Ordnung gebracht werden soll“, schreiben die Umweltschützer.