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Archiv-Artikel

berliner szenen Raum einnehmen

Musik, wenn es heiß ist

Die Stille ist schön, wenn es ganz heiß ist und dazwischen Vogelzwitschern. Oder Kindergeschrei. Aber immer wieder die Stille. Die Musik kommt aus dem alten Kassettenrecorder. Wenn es heiß ist, ist es besser, dass die Musik aus dem Kassettenrecorder kommt. Käme die Musik aus der Anlage, würde sie zu viel Platz in der Wohnung einnehmen.

Überhaupt die Musik: Die Formatierung der Musik im öffentlichen Raum ist manchmal ganz erstaunlich, hat manchmal schon fast etwas Totalitäres. Neulich waren wir zum Beispiel am Ufer der Spree, in so einem Dings in der Nacht. Nahe der Michaelisbrücke, glaube ich. Liegestühle standen am Ufer der Spree. Optisch unter freiem Himmel war alles super: Die Sterne! Der Mond! Das großzügige Gelände! Die angestrahlte Rückseite eines Hauses! Doch die Musik war eine einzige, grauenhafte Katastrophe. Irgendetwas wie „Best of Soul zum Träumen“. So Richtung Barry White. Und durchgehend MP3s. Das Schreckliche der Musik fand formal auch zum Begriff seiner selbst, der durch die Grauenhaftigkeit des Formats noch potenziert wurde. Es gab keine Höhen und Tiefen, jedes Stück war zusammengestaucht worden, um nicht aufzufallen, was dazu führte, dass es unmöglich war, den schleimigen Dreck aus der eigenen Wahrnehmung auszublenden. Wir träumten von entschlossenen jungen Leuten, die dagegen vorgehen sollten.

Fast rührend war es ein paar Tage später auf dem Gelände der Sandskulpturenausstellung „Sandsation“. Musikalisch gab es anderthalb Stunden lang kein einziges Stück, das jünger als 30 Jahre alt war. Hintereinander: Stones („Ruby Tuesday“), Santana („Black Magic Woman“); Bob Dylan („Mr Tambourine Man“), Donovan („Hurdy Gurdy Man“).

DETLEF KUHLBRODT