: Sommerschule tut MigrantInnen gut
Theorie und Praxis: Max-Planck-Forscherin organisiert Sprachlerncamp – und untersucht den Lernzuwachs
Am ersten Tag rannte eine Schülerin aus dem Unterricht. „Das ist ja wie in der Schule hier“, rief die Bremer Drittklässlerin und floh. Was war passiert? Die junge Dame zählte zu 150 SchülerInnen mit Migrationshintergrund, die an einer Sommerschule zum Sprachelernen teilnehmen durfte – in den Ferien.
Drei Wochen lang trafen sich die Kinder vergangene Sommerferien zu einer Reise in das „Land der Sprache und des Theaters“. Mit dabei war Petra Stanat vom Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung, die den Lerneffekten des Sommercamps auf die Spur kommen wollte. Sponsor des 500.000-Euro-Projekts war die Schweizer Jacobs-Foundation, unterstützt hat sie der Bremer Bildungssenator Willi Lemke (SPD).
Gestern veröffentlichte Stanat zusammen mit ihrem Chef Jürgen Baumert die Ergebnisse des Sommercamps. Und was der MPI-Direktor zusammenfasste, klang furchtbar banal. „Sprachförderung muss man so machen wie die Finnen. Gucken, wer es nötig hat – und dann systematischen Sprachunterricht betreiben“, sagte Baumert. Das klingt selbstverständlich – ist nur so einfach nicht machbar. Jedenfalls nicht im Schulalltag. Das wurde deutlich, als Petra Stanat Details vortrug. Zwei Sachverhalte hat die Forscherin gemessen – und überraschende Resultate erzielt. In ihren Leistungen waren die MigrantInnen bei einem ersten Nachtest des Camps deutlich besser geworden, in der Lesefähigkeit genau wie in Grammatik. Bei einem zweiten Test drei Monate später war die Leseleistung der Sommercamper immer noch viel größer als die der MitschülerInnen, die zu Hause geblieben waren. Die grammatischen Fähigkeiten aber lagen nicht mehr signifikant höher.
Für die Schule ist das Ergebnis eine kleine Katastrophe – denn Schule hat aufs Grammatiklernen offenbar nur geringe Einflüsse. Schließlich besuchten die im Satzbau vom Sommercamp gestärkten SchülerInnen in den drei Monaten die Schule – ohne dass die fähig gewesen wäre, sie mit gleicher Verve voranzubringen. Das liegt daran, vermuteten alle Experten, dass es wirklich systematische Sprachförderung, etwa als ein „Deutsch als Zweitsprache“-Programm, in der Schule bislang kaum gibt.
„Die Lernfortschritte beim Lesen sind gewaltig“, nannte Jürgen Baumert das wichtigste Ergebnis der Campforschungen. Will sagen: Drei Wochen Sprachschule im Sommer leisten so viel wie ein halbes Jahr Unterricht. Da stimmt vielleicht etwas in der Stinoschule nicht. In den Worten Baumerts: „Die bei dem Sommercamp praktizierte gezielte Sprachförderung wäre auch im normalen Unterricht machbar – eigentlich.“ Nur weiß bislang niemand, was die Lehrer im Zusatzunterricht machen; niemand misst die Effekte; und Deutsch als Fremdsprache können nur wenige LehrerInnen.
Bremens Bildungssenator versprach gestern, aus dem Camp praktische Konsequenzen zu ziehen. Die Sommerschule will er wiederholen – allerdings nur für 200 und nicht, wie – mindestens – nötig, für 600 Bremer SchülerInnen. Dafür hat Lemke dafür gesorgt, dass alle Bremer Erstklässler, die nicht lesen können, systematische Nachhilfe bekommen. Und alle Versetzungsgefährdeten dieses Jahres lud Lemke in ein Ostercamp ein – zum achttätigen freiwilligen Lernen. Von den 525 SchülerInnen nahmen 495 das Angebot an.
Auch Senator Lemke weiß allerdings, „dass wir im Moment nur Reparatur betreiben“. Die eigentliche Aufgabe haben er und die KollegInnen Kultusminister noch vor sich: Dafür zu sorgen, dass die normale Schule Effekte hat – und nicht bloß die Ferienkurse. CHRISTIAN FÜLLER