: Einschüchterung gegen Blogger
RUSSLAND Einen Tag vor einer weiteren Demonstration gegen Präsident Putin durchsucht die Polizei rabiat die Wohnungen bekannter Oppositioneller und lädt sie zu Verhören
BLOGGERKOMMENTAR ZUR RAZZIA
AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH
Die russischen Behörden erhöhen den Druck auf die Opposition. Am Vorabend einer neuen Großdemonstration gegen das Regime Wladimir Putins hat die russische Polizei die Wohnungen führender Oppositionspolitiker in Moskau durchsucht. Laut Ermittlungsbehörde steht das Vorgehen im Zusammenhang mit Angriffen auf Sicherheitskräfte während einer Demonstration vor der Amtseinführung Wladimir Putins am 6. Mai.
Ins Fadenkreuz der Ermittler geriet der Blogger und Antikorruptionskämpfer Alexej Nawalny, der Vertreter der linken Opposition Sergej Udalzow und Ilja Jaschin, Mitglied der Bewegung Solidarnost. Auch die Wohnungen des ehemaligen Vizepremiers Boris Nemzow und der TV-Moderatorin Xenia Sobtschak wurden überprüft. Insgesamt seien mehr als zehn Wohnungen durchsucht worden, teilte die Ermittlungsbehörde mit.
Die Polizei erschien bei allen Oppositionellen am frühen Montagmorgen und holte sie buchstäblich aus dem Bett. Der Montag vor dem Tag der russischen Unabhängigkeit am 12. Juni war auch ein arbeitsfreier Feiertag. Als erster Sender berichtete Radio Moskwy von der Razzia bei Alexej Nawalny, dessen Anwältin vergeblich versuchte, zu ihrem Mandanten vorgelassen zu werden.
Über mehrere Stunden zogen sich die Durchsuchungen hin. Alexej Nawalny beschwerte sich überdies über das brutale Vorgehen der Ermittler, die „praktisch die Tür rausgerissen“ hätten. Die meisten Oppositionellen erhielten eine Vorladung zum Verhör am Dienstagvormittag, auch einem Feiertag. Offensichtlich sollen sie von der Teilnahme an der Protestveranstaltung, die am Mittag beginnt, abgehalten werden. Beobachter vermuten überdies, dass die Aktion auch potenzielle Demonstranten abschrecken soll. „Jetzt läuft der Versuch, die morgige Veranstaltung zu stören, damit weniger Leute kommen“, meinte der Bürgerrechtler Lew Ponomarew. Die politisch Verantwortlichen legten es darauf an, die Lage anzuheizen und die radikaleren Teilnehmer zu provozieren, damit die Veranstaltung insgesamt aus dem Ruder laufe.
Auch der Oppositionspolitiker der demokratischen Partei Jabloko, Sergej Mitrochin, war von dem Vorgehen überrascht: „Jetzt hat es Putin aufgegeben, den Schein der Demokratie zu wahren“, sagte er. Auch die Bloggergemeinde reagierte empört: „Übergang zum nordkoreanischen Szenario?“, fragte einer ungläubig. „Jetzt ist Wowa (Putin) endgültig verrückt geworden“, kommentierte ein anderer.
Mindestens 50.000 Teilnehmer erwarteten die Organisatoren des Marsches, bevor die Razzien stattfanden. Das Kalkül des Kreml, dass nunmehr viele potenzielle Demonstranten fernbleiben werden, dürfte unterdessen nicht aufgehen. Beobachter überlegen auch, ob die politische Führung es bewusst auf eine Konfrontation anlegt, um die Proteste gewaltsam zu ersticken. Eins hat das Vorgehen zumindest erreicht: Gebloggt und diskutiert wird mehr denn je.