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Archiv-Artikel

Die Kinozeremonie von Emden

KIEKMA Auf dem 23. internationalen Filmfest Emden/Norderney ging es auch in diesem Jahr wieder familiär zu. Zum Programm gehörten Filmtee, Inselausflug und sperrig- politische Stoffe

VON WILFRIED HIPPEN

Erst die Kluntjes, dann den Tee und dann die Sahne. Aber ja nicht umrühren, damit das Wölkchen aufsteigen kann. Die aus Berlin angereiste Moderatorin Dorothee Wenners wies die aus Berlin angereiste Preisträgerin Katharina Thalbach in die Feinheiten der ostfriesischen Teezeremonie ein. Am Samstagnachmittag fanden sie sich im Emder Rathauslokal mit dem schönen Namen „Rummel“ zum „Filmtee“ ein – einer Veranstaltung, die es so wohl nur in Emden geben kann. Im Publikum meist ältere Damen, die ebenfalls mit reichlich Tee verwöhnt wurden (das örtliche Teehandelshaus ist Sponsor) und bei diesem gemütlichen Teekränzchen gestand Frau Thalbach später dann, dass sie gar nicht all die Filme gesehen hat, in denen sie schon mitgespielt hat.

Ein anderes Ritual ist der Inselausflug am Samstag nach Norderney. Diesmal war es mit viel Sturm und Wind keine große Freude für die Gäste des Filmfests, doch viele sind dann doch in Bus und Fährschiff mitgefahren, um sich das Kurtheater mit einem der schönsten Kinosäle Norddeutschlands zeigen zu lassen und ein wenig am Strand spazieren zu gehen.

Dieses Filmfest hat ein ganz eigenes Flair, das von den Veranstaltern sorgfältig gepflegt wird, und so haben sie sich in der Stadt auch eine treue Zuschauergemeinde herangezogen. Selbst beim Fußballspiel Deutschland-Portugal waren die Säle noch gut gefüllt. Das Emder Publikum schätzt dabei gerade die sperrigen, politischen Stoffe. So war etwa der deutsche Debütfilm „Schuld sind immer die Anderen“ von Lars-Gunnar Lotz in diesem Jahr der große Gewinner von gleich drei Wettbewerben, die alle nach Publikumsentscheidung vergeben werden. Sowohl der Bernhard-Wicki Preis, der NDR Filmpreis für den Nachwuchs und der AOK Filmpreis gingen an dieses Sozialdrama, in dem von einem jugendlichen Gewalttäter erzählt wird, der im Knast landet und im Rahmen eines Projekts zur Resozialisierung in eine Einrichtung in ländlicher Abgeschiedenheit geschickt wird, wo er auf eines seiner Opfer stößt und diesem langsam nahekommt.

Für den Film „Sons of Norway“ bekam man dagegen schon Tage im voraus keine Karten mehr, aber solch eine Komödie hat in Emden keine Chance auf einen Preis. Dabei gehört diese wilde Entwicklungsgeschichte über einen jungen Punk im Oslo der späten 70er Jahre, dessen Problem darin besteht, dass sein Vater, ein ewiger Hippie, noch viel radikaler die Tabus bricht als er, zu den Höhepunkten des Programms. Das ist von Jens Lien sehr komisch und originell inszeniert und wird gekrönt durch einen kurzen Gastauftritt von Johnny Rotten himself. Ein Programmschwerpunkt in Emden waren schon immer Filme aus dem Nordwesten Europas.

Diesmal waren neben einem weiteren Film aus Norwegen Produktionen aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich in der internationalen Reihe zu sehen, darunter die holländisch/südafrikanische Koproduktion „Black Butterflies“. Darin wird das Porträt der Dichterin Ingrid Jonker gezeichnet, die im südafrikanischen Apartheidsregime der 60er Jahre als ein rebellischer Freigeist von den politischen und familiären (ihr Vater war der Minister für Zensur) Widersprüchen innerlich zerrissen wurde. Ein poetischer, intensiver und komplexer Film, der auch einen Preis verdient hätte.

Die interessanteste Reihe des Filmfests ist jedes Jahr wieder jene mit den neuen britischen und irischen Produktionen. Die Wege von Küste zu Küste sind kurz und die Verbindungen über die Jahre eng, und so ist das Festival immer wieder eine Fundgrube für anglophile Cineasten. Die drei interessantesten Filme dieser Reihe verband in diesem Jahr das Leitmotiv einer dysfunktionalen Familie. In „Black Pond“ wird von den Thompsons erzählt, die in der Presse als „Killer-Familie“ gebrandmarkt werden, weil in ihrem Heim ein Fremder starb, den sie dann heimlich vergraben haben. Mit diesem exzentrischen Porträt einer gestörten Mittelklasse-Familie gelingt dem Regisseur Will Sharpe ein faszinierendes Fixierspiel von Motiven, Zwängen und Neurosen.

In „Wild Will“ wird der Titelheld nach acht Jahren aus dem Knast entlassen. Regisseur Dexter Fletcher bewährt sich hier in der guten alten Tradition von mit trockenem Humor gewürztem sozialem Realismus. Bei ihm trifft Guy Ritchie (in dessen Filmen er als Schauspieler zu sehen ist) auf Ken Loach. In „We Need To Talk About Kevin“ spielt Tilda Swinton eine Mutter, deren Sohn sich von Geburt an als abweisend und böse entpuppt. Hier wird mit einer verstörenden Radikalität durchgespielt, wie es ist, wenn das eigene Kind der Feind ist. Ein provokanter, unbequemer, brillant inszenierter Thriller. Es ist gut, dass die Organisatoren des Festivals ihrem treuen Publikum auch solche Filme zumuten.