Liebling der Massen Uli Hannemann: Das prallt an unseren dicken Pullovern einfach ab
Am Morgen des 1. April ist es kalt. Sofort muss ich an Putins schlechten Aprilscherz denken: dass ab heute kein Gas mehr flösse, wenn die „unfreundlichen Länder“ die Lieferung nicht mit Rubel bezahlten. Sorry, gar nicht witzig.
Die realitätsfernen Aprilscherze alter Schule mochte ich lieber: Arbeitselefanten bei der BSR, erneute Sprengung des Stadtschlosses oder Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Hihi, haha, nicht reingefallen. Aber ich mag die Bezeichnung „unfreundliche Länder“. Die passt gut zu Deutschland, die passt gut zu mir. Seit ich offiziell unfreundlicher Bewohner eines unfreundlichen Landes bin, gehe ich gleich ein ganzes Stück aufrechter durch die Gegend. Gerader Rücken, Näschen fast im 90-Grad-Winkel vorm Gesicht und Stolz im unfreundlichen Blick. Da ist endlich nichts mehr mit nett. Nette Länder sind doch eh nur Die-kleine-Schwester-von-Scheiße-Länder. Milchreisproduzenten mit himmelblauen Landesfahnen, die von den bösen Ländern bloß gemobbt werden, Opferländer.
Puh, ist das kalt. Die Wohnung meiner Frau hat eine Gastherme, während die Ukrainer in meiner kaum drei Kilometer entfernten Wohnung die Ölzentralheizung saftig aufgedreht haben. Sie sind das von zu Hause so gewohnt – so weit ich weiß, werden dort die Blocks nach einem veralteten, zentralen Heizsystem von Oktober bis April stufenlos, unregulierbar und derart stark beheizt, dass die Bewohner im Winter bei laufendem Betrieb die Fenster aufreißen. Zumindest war es früher so; ich bin da sicher nicht mehr auf dem Laufenden.
Kein Wunder, dass eine der ersten Fragen bei ihrem Einzug die nach der Heizung war. Sie fröstelten sichtlich, denn nach ihren Maßstäben war es kalt in meiner Wohnung. Es ist offenbar ein Irrtum, dass Menschen aus Ländern mit härteren Wintern automatisch kälteresistenter sind. Jedes Mal, wenn ich dort vorbeischaue, um Sachen zu holen oder Dinge zu regeln und via Übersetzungs-App ein paar meist sinnentstellte Sätze mit ihnen zu wechseln, breche ich nach spätestens zwei Minuten in Schweiß aus.
Das kann mir hier und jetzt auf keinen Fall passieren. Ich muss an den großen Praktiker Thilo Sarrazin vom deutschnationalen Flügel der SPD denken, der Hartz-IV-Empfängern einst empfahl, anstatt für teures Geld zu heizen, einen Pullover überzuziehen. Das mache ich ja schon lange. Allerdings ist das meine ganz persönliche kleine Sparfuchs-Entscheidung. Wenn aber ein wohlhabender Typ in einem System der ungerecht verteilten Mittel ärmeren und natürlich individuell kältesensiblen Leuten eine einheitliche Zimmertemperatur vorschreiben will, ist das schlicht unanständig.
Doch das passt ja in ein Land, in dem ein Tempolimit tatsächlich nur in Form eines Aprilscherzes denkbar ist, an den keiner glaubt. Wo das Benzin des Porsche-Fahrers ebenso subventioniert wird wie das des Arbeitspendlers in der Pampa. Wo ein Sonntagsfahrverbot wie in den 1970er Jahren überhaupt nicht zur Debatte steht. Nee, nee, nee – eher brennt die FDP. Die A100 wird zur Spielstraße; auf der Skalitzer Straße wird „Himmel und Hölle“ gehopst? Schön wär's, aber dieses unfreundliche Land ist echt die große Schwester von Scheiße.
Immerhin fällt mir wieder ein, warum es hier am frühen Morgen so kalt ist. Wir haben den Thermostat nämlich schon in den ersten Kriegstagen um 2 Grad runtergeregelt.
Der Hohn im Netz, der uns erklärt, was für Idioten, Panikhäschen und „Gutmenschen“ (was anders als rechter Kampfbegriff gar nicht mehr wahrnehmbar ist) wir deshalb seien und wie wenig das alles bringe, prallt an unseren dicken Pullovern einfach ab.
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