DIE EM AUS DÄNISCHER SICHT : Fortunas ungerechte Hand
MATHIAS IRMINGER SONNE
„Es ist so unkompliziert, Däne zu sein“, fand ein deutscher Freund, als wir vor Jahren einen sonnigen Urlaubstag am Kopenhagener Hafen verbrachten. Heile Welt, Geschichte unproblematisch, glücklichstes Volk der Welt. Was will man mehr?
Was ich damals nicht wusste: Es ist noch einfacher, Däne in Berlin zu sein. Als skandinavischer Luxusmigrant fühlt man sich schnell eingebürgert – und kann auch für Gomez und Co. sein, wenn die Dänen wieder in der Vorrunde rausfliegen.
Sie fliegen nämlich raus. Natürlich. Morten Olsens Mannschaft wurde Erste in der Qualifikationsgruppe vor Portugal? Das war Glück. Van Persie und Robben hatten am Samstag dagegen oranjes Pech. Purer Zufall, dass Mølby, Laudrup, Schmeichel und Povlsen beim EM-Sieg der „Urlaubsmannschaft“ 1992 mir und meinen fußballverrückten Freunden fiebrige Nächte bereiteten.
Alles von Fortunas ungerechter Hand gelenkt. Darum kann es auch so nicht weitergehen für uns. In der dänischen Presse wurden die nationalen Underdogs in den letzten Tagen noch kleiner geschrieben als vor den drei Punkten gegen Holland und Portugal, die David-und-Goliath-Vergleiche wurden noch häufiger. Der Witz ist, dass wir fünfeinhalb Millionen Dänen es nur so mögen: in der Rolle des Underdogs zu gewinnen. Kleine Erfolge auf der großen Bühne liegen uns einfach am besten.
In Kopenhagen hatten am Samstag die Wohnungen vor Fußballfreude gekocht. Leider haben wir Dänen noch nicht ganz eingesehen, dass es mehr Spaß macht, Fußball in Scharen zu schauen als mit Freunden vor der Privatglotze. Das gründet auch in einer kleinlichen Interpretation der Ausschankregeln. Ein Fernseher vorm Kiezkiosk, 50 spontane Fans und Bier für einen Euro aus der Kiste? Das wäre – zieht man Kopenhagens Behörden in Betracht – schwer denkbar in Dänemarks Hauptstadt.
Die hiesige Gruppenschau-Kultur ist wohl auch der Grund, warum dänische Touristen und Wahlberliner selten Fußball unter sich schauen. Sie wollen die Anonymität genießen. Und sie wollen ohne nationalistische Selbstvorwürfe die Fahne schwenken und zeigen: Wir sind nicht viele, aber passt auf!
Wir reden uns gern klein, um dann einen Sieg trotz aller Umstände holen zu können. Aber ich bezweifle ja auch, dass wir es am Sonntag gegen Deutschland schaffen – obwohl Jogis Jungs ein Punkt reicht.
Deshalb ist es so schön, dänischer Wahldeutscher zu sein: So erlebe ich vielleicht endlich, wie es ist, nicht nur mit Glück, Blut und Schweiß zu gewinnen, sondern selbstbewusst zu sagen: Unser Team war halt das beste.
■ Mathias Irminger Sonne arbeitet seit 2009 in Berlin als freier Journalist für die dänische Presse