: „Hitler hat’s richtig gemacht“
Studierende der Alice-Salomon-Fachhochschule haben anhand von Interviews in Freizeitclubs den Antisemitismus unter Jugendlichen in Friedrichshain-Kreuzberg erforscht. Heute sind sie zu hören
VON PHILIPP GESSLER
Man ahnte Schlimmes, als man begann – und am Ende war es noch schlimmer. Studentinnen und Studenten der Alice-Salomon-Fachhochschule wagten sich im vergangenen Winter- und im folgenden Sommersemester im Rahmen einer Lehr-Werkstatt an ein heißes Thema: den Antisemitismus unter jungen Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg. Nun sind die Ergebnisse da.
Ausgestattet mit Videokamera, Mikrofon und Fotoapparat befragten die Studierenden Jugendliche und junge Erwachsene in Freizeitclubs des Bezirks zu ihren Einstellungen gegenüber Juden und Israelis. „Als wir mit der Arbeit an der Werkstatt begannen, befürchteten wir die Existenz von antisemitischen Ressentiments bei Jugendlichen aus islamischen Herkunftsländern“, schreiben die Dozenten Levi Salomon und Katrin Becker in einem Band, der die Interviews zusammenfasst, „Nach der Durchführung der Interviews waren wir erschrocken darüber, wie stark diese Ressentiments bei der Mehrheit der Befragten ausgeprägt sind.“ Der Judenhass sei selbst dort stark gewesen, wo eine „ausgezeichnete präventive Arbeit bezüglich der Bekämpfung des Antisemitismus geleistet“ werde. „Für die Mehrheit der von den Studierenden befragten Jugendlichen stellt ‚Jude‘ ein Schimpfwort dar.“
Man kann die Ergebnisse der Befragung, die heute auf einer Veranstaltung der Fachhochschule öffentlich gemacht werden, relativieren. Es ist einzuwenden, dass die befragten jungen Menschen manchmal nur dumme Sprüche machen: „1, 2, 3, Scharon ist ein dickes Schwein!“, ruft da jemand, und fünf andere Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren „mit migrantischem Hintergrund“ lachen los. Man muss zudem berücksichtigen, dass einige der Interviewten zumindest indirekt über ihre Familiengeschichte selbst vom Nahostkonflikt betroffen sind, was ihre Abneigung zumindest gegen Israelis leichter nachvollziehen lässt. „Mein Cousin ist gestorben, meine Tante ist gestorben, mein Onkel ist gestorben, meine Oma und mein Opa sind gestorben“, erzählt etwa ein Jugendlicher. Sie seien durch Israelis getötet worden: „entführt, erschossen“. Und natürlich findet man viel Unwissen und einiges an Dummheit: „Hitler war ein armer Bettler, der von Juden geschlagen und geärgert wurde“, erzählt etwa ein Junge, „und als ihn ein Deutscher berühmt gemacht hat, hat er sich an den Juden gerächt.“
All diese Einwände aber können kaum erklären, wie es sein kann, dass trotz einer mindestens neunjährigen Schulerziehung so viel dumpfer Judenhass mitten in Berlin grassieren kann. Immer wieder betonen die interviewten jungen Leute, dass „sehr viele“ schlecht über Juden redeten: „Ich kenne viele Moslems, die sagen, Scheißjude und so.“ Einige Interviewte sagen, dass Judenhass in Moscheen gepredigt werde. Eine 17-jährige Person mit türkischen Eltern erklärt: „Aber bei vielen wurde das in die Köpfe schon so rein gehauen: Jude = Scheiße, Jude = schlecht.“
Verbreitet sind antisemitische Verschwörungstheorien: „Das, was mit dem World Trade Centern passiert ist, wo die Amerikaner gleich dachten, das sind bestimmt die Araber. Im Flugzeug hat man jedoch israelische Stimmen gehört. Und die Amerikaner dachten, es wären arabische Stimmen und deshalb haben die die ganzen Anschläge gemacht.“ Und immer wieder sagen Interviewte, Juden töteten Babys – „Juden“ wohlgemerkt, nicht „Israelis“, diese Differenzierung scheint niemand hinzukriegen oder hinkriegen zu wollen. Regelrechte Hitler-Fans gibt es unter den Jugendlichen. Da sagt jemand: „Genau, also Hitler hat eigentlich schon Scheiße gemacht, aber auf ner anderen Seite ist das sehr gut, weil hätte er alle vergast, hätten wir das Problem nicht.“ Oder noch deutlicher: „Hitler gefällt mir. Tja, der hat’s damals mal richtig gemacht.“
Es gibt auch einige versöhnliche, tolerante Stimmen unter den Interviewten – aber im Allgemeinen schockiert die Unversöhnlichkeit, die aus vielen Interviewausschnitten spricht. So sagt einer beispielsweise: „Also ich, ich kann überhaupt keine Juden leiden; egal auch ob die nett oder nich nett sind die sind einfach dreckig irgendwie.“ Und dass solche Aussagen beizeiten auch mehr als Sprüche sind, macht diese Aussage deutlich: „Einmal in unserer Schule kam ein Jude. Die ganzen Araber haben auf ihn gespuckt, geschlagen und gespuckt. Dann ist er auch von der Schule raus gegangen.“ Oder, noch deutlicher: „Jeder Jude, der hier geblickt wird, wird gefickt. Das ist ein Sprichwort.“
Etwa seit der Jahrtausendwende schwappt eine Welle des muslimischen oder islamistischen Antisemitismus durch die Einwanderungsgesellschaften Europas – am deutlichsten war diese Entwicklung in den vergangenen Jahren in Frankreich zu beobachten. Auch in Deutschland ist die Zahl der antisemitisch motivierten Gewalttaten seitdem kontinuierlich gestiegen – und Fachleute gehen davon aus, dass dieser Zuwachs bei den Gewaltverbrechen in erster Linie auf judenfeindlich gesonnene Migranten zurückzuführen ist. Untersuchungen dazu gibt es aber noch nicht. Das gilt auch für Berlin. Nur spärliche Informationen liegen hier vor, etwa durch eine Studie des „Zentrums für demokratische Kultur“ und Aussagen aus dem „Standpunkte“-Projekt hiesiger Lehrerinnen und Lehrer, die gegen Rassismus und Antisemitismus in der Schule aktiv sind. Zwar gehen diese Erkenntnisse in die gleiche Richtung wie der Grundtenor aus den Interviews der Fachhochschul-Studenten. Seriöse Zahlen jedoch über die Verbreitung antisemitischer Einstellungen vor allem unter jugendlichen Migranten in der Hauptstadt gibt es nicht.
Deshalb ist kaum zu sagen, ob der Antisemitismus in dieser Gruppe der Gesellschaft nun zugenommen hat oder nicht. „Um genauer den Umfang antisemitischer Ressentiments und eine Gewaltbereitschaft gegen jüdische Bürger in einigen Berliner Stadtteilen zu erfassen, um tatsächlichen Ursachen auf den Grund zu gehen und um politische wie pädagogische Handlungsalternativen entwickeln zu können, sind neue Studien unumgänglich, für die unsere Interviews Ausgangspunkt sein könnten“, schreiben Becker und Salomon.
Gleichwohl ist offensichtlich, dass das Thema Antisemitismus unter Berliner Jugendlichen nicht nur migrantischer Herkunft ein brennendes Problem darstellt, das nicht allein mit der Unterprivilegierung gewisser Schichten in ärmeren Stadtteilen erklärbar ist. Die Alice-Salomon-Fachhochschule macht sich heute daran, Ausmaß und Ursachen dieses Phänomens auf einer Podiumsdiskussion etwas näher ergründen zu wollen – wobei die Organisatoren unsicher sind, ob sie nicht mit Störern rechnen müssen. In vier Kurzfilmen werden wesentliche Aussagen der Interviews zusammengefasst und vorgestellt. Titel der Veranstaltung: „Hitler gefällt mir.“
Näheres zum Thema Antisemitismus von Philipp Gessler in seinem Buch: „Der neue Antisemitismus“, Herder, Freiburg 2004