: Der Banalpoet
Bislang ist Olli Schulz durchs Leben gebaumelt, jetzt macht er Karriere. Seine zweite Platte heißt „Das beige Album“ – und sein Hund „Marie“
VON DAVID DENK
Es war ein Heimspiel für Olli Schulz. Er war zwar in Leipzig, der gebürtige Hamburger und Wahlberliner, doch das machte nichts. Denn er stand mit seiner Gitarre auf der Bühne und unter ihm verzückte Studenten, die geschlechterübergreifend an seinen Lippen hingen. Das örtliche Uniradio feierte zehnten Geburtstag, und Olli Schulz gratulierte. Wahrscheinlich war es auch ein Abschied, denn noch mal wird sich mephisto97.6 Olli Schulz wohl nicht leisten können. Einen Teil des Weges sind sie gemeinsam gegangen, der Sender hat die Songs von „Brichst du mir das Herz, dann brech ich dir die Beine“ rauf- und runtergespielt, jetzt macht Oliver Marc Schulz, 32, Karriere – ohne die Uniradios dieser Republik.
Am Montag ist Olli Schulz’ zweite Platte, „Das beige Album“, auf dem Kettcar-Tomte-Label Grand Hotel van Cleef erschienen. Zwei Tage später war er bei Sarah Kuttner zu Gast, die dort weitermacht, wo die Uniradios aufgehört haben. Dass die Öffentlichkeit derzeit auf Olli Schulz aufmerksam wird, liegt aber auch daran, dass er sich auf vielen Festivals – „Hurricane“, „Berlinova“, „Rheinkultur“ – warm läuft für die „beige Tour“, die am 1. September in Potsdam beginnt.
Beim Konzert in Leipzig, das Olli Schulz übrigens ohne den Hund Marie bestritt, der eigentlich Max Martin Schröder heißt und sein Partner ist, erzählte er eine Anekdote: wie er mal nach einem Streit mit seiner Exfreundin einfach ins Auto gestiegen und losgefahren sei – ohne darüber nachzudenken, wie viel Sprit im Tank ist. Es kam, wie es kommen musste: Der Wagen blieb liegen, Olli Schulz hatte keinen Cent in der Tasche. Schließlich rief er seine Freundin an und ließ sich von ihr abholen.
So wie er das erzählte, war die Geschichte erstaunlich pointenfrei – aber gerade deswegen so unglaublich gut, weil sie total ungekünstelt wirkte und dadurch charmant wie das ganze erste Album, das einen ungefilterten Eindruck in das unentschlossen zwischen Tragödie und Komödie baumelnde Leben eines Mannes zu geben schien, der früher mal Roadie für Peter Maffay war und bald 30 werden würde. Wäre Baumeln ein Lebensgefühl, dann wäre Olli Schulz dessen role model, dachte man sich beim Hören von „Brichst du mir das Herz, dann brech ich dir die Beine“: „Ich bin ein einfacher Typ mit guten und schlechten Seiten, das werden die meisten kaum bestreiten“, singt er in „Durch die Nacht“. Und in einer unveröffentlichten Version des Songs „Unten mit dem King“ geht die Selbstentblößung noch weiter: „Im Speisesaal des Lebens bist du auf Diät gesetzt. Alle kriegen Hirschragout, nur du kriegst das Omelette.“ Oder: „Wärst du eine Melodie, wär’ ich ein stumpfer Beat“ („Weil die Zeit sich so beeilt“). Dieses Spielen ohne Deckung, das zwangsläufig Blessuren nach sich zieht, ist ein Markenzeichen von Olli Schulz – man könnte auch sagen ein Wundmal, denn sollte er das, wovon sein „nasaler Bonbon-in-Backentaschen-Gesang“ (Ausdruck geklaut, weil unerreicht!) handelt, nicht selbst erlebt haben, hat alles keinen Sinn mehr.
Seine Fähigkeiten als Musiker schätzt Olli Schulz ganz realistisch ein – dafür hat er ja Max Schröder: „Und die drei einfachen Akkorde sind der Teppich meiner Worte“ („Durch die Nacht“). Dazu passt die Legende, wonach der Roadie Olli, Autodidakt an der Gitarre, einfach so Lieder für Freunde geschrieben habe, bis irgendwann Marcus Wiebusch, Sänger von Kettcar, die magischen Worte gesprochen habe: Gehe hin und nimm mit diesen Liedern eine Platte auf!
Auch wenn die Geschichte zu schön ist, um wahr zu sein, möchte man sie unbedingt glauben, denn genauso klingt sein Debüt – wie direkt vom Herzblut abgezapft. Um kurzen Prozess zu machen: Mit dem neuen Album gelingt ihm dies nicht mehr – wie auch? Jetzt, da er die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, reicht es eben nicht zu wiederholen, was eh alle von ihm erwarten – irrwitzige, bisweilen virtuose Grenzgänge zwischen Banalität und Poesie. Selig sind die, die das Debüt gar nicht kennen und jetzt den „Bettmensch, halb Mensch und halb Bett“ kennen lernen: „Ich sehe komisch aus, bin eigentlich ganz nett.“ Dazu gesellen sich unverändert eingängige Melodien, mit denen auf dem Ohr man gerne U-Bahn bis nach Braunschweig fahren würde und dann aber auch gleich wieder zurück – nicht wegen Braunschweig, sondern wegen der Musik. Der Waggon wäre schnell leer, weil man sich das Mitsingen einfach nicht verkneifen könnte: „Und dann steigst du in die Bahn, wo die Menschen wieder fahren. Alle hier sind dir so fremd, obwohl dein Nachbar dich erkennt“ („Dann schlägt dein Herz“).
Verglichen mit anderen Heroen ist und bleibt Olli Schulz natürlich ein kleines Hamburger Würstchen – was er wohl auch sofort unterschreiben würde. Und so war der Höhepunkt des Konzerts in Leipzig eine Hommage an Oasis. Oliver Schulz sang gemeinsam mit Daniel Müller, einem Leipziger Studenten, von dem ihn optisch außer zehn Jahren und einem Bauchansatz wenig trennte, „Wonderwall“. Flugs richtete man das Mikro noch so aus, dass Daniel Müller die typische Liam-Gallagher-von-unten-nach-oben-Singhaltung einnehmen konnte, allzeit bereit, im hohen Bogen ins Publikum zu spucken. Da standen sie nun, vereint in ihren brutal normalen Namen und in der Musik, und gaben ihr Bestes. Zumindest Olli Schulz, daran besteht kein Zweifel, wird uns alle noch überraschen – mit seinem dritten Album.