Die SPD verstößt ihre Kinder

Zwischen den Gesamtschulen und den Gymnasien werden die integrativen Schulzentren zerrieben. In Walle droht ein deutlicher Rückgang der „Bildungsbeteiligung“

Obwohl alle Politiker noch vor gar nicht so langer Zeit betont haben, die innere Schulentwicklung der bestehenden Schulen und weniger die weitgehend ideologisch begründete Schulform-Reform betreiben zu wollen, passiert genau das aktuell in den bremischen Schulen. Am Beispiel des Bremer Westens wird die Neuausrichtung der Bildungspolitik besonders deutlich. Im Rahmen der Polarisierung der bildungspolitischen Debatte zwischen durchgängigen Gymnasien und Gesamtschulen verändert sich das Anwahlverhalten deutlich. Im Bremer Westen jenseits von Findorff wird es in der Sekundarstufe I künftig drei Gesamtschulen – GSW, Pestalozzistraße und Helgoländer Straße – und eine Stufenschule am Waller Ring geben. Die Grundschulen richten sich stärker auf die Gesamtschulen aus. Die H/R-SchülerInnen entscheiden sich für die Gesamtschulen, die eigentlich von einigen GymnasialschülerInnen angewählte integrierte HR-Schulen sind. Die in der Pisa-Studie ausgewiesenen bildungspolitischen Problemgruppen – Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund und solche aus sozial schwachen Familien – wählen verstärkt das Gymnasialangebot im Stadtteil am Waller Ring. Bei den bildungsbürgerlichen Schichten ist verstärkt die Tendenz zu den Innenstadtgymnasien sichtbar, weil die schlicht das attraktivere und verlässlichere Bildungsangebot haben.

Diese Entwicklung führt dazu, dass das SZ am Waller Ring einen deutlichen Einbruch bei der Anwahl durch H/R-SchülerInnen zu verzeichnen hat. Damit entstehen in diesem Bereich Gruppengrößen, die für eine differenzierte pädagogische Arbeit nicht ausreichen. Politisch sind solche kleinen Abteilungen auch nicht gewollt – die Koalition hat ja die Auflösung aller einzügigen Abteilungen beschlossen. Die Gymnasialschülerschaft wird im Wesentlichen auf die Kinder aus den bildungsferneren Familien reduziert, wodurch insgesamt langfristig ein Sinken der Bildungsbeteiligung vorgezeichnet ist. Das gymnasiale Bildungsangebot in Walle, das seine Stärke gerade durch die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft hat, wird dadurch mittelfristig stark gefährdet.

Deswegen wird die Entwicklung bei unveränderten Bedingungen zu einem schleichenden Tod insbesondere dieses Bildungsangebots und damit letztlich auch zu einem schleichenden Tod der Stufenschule führen. Das ist aber für den Stadtteil gleichbedeutend mit der weitgehenden Einstellung einer gymnasialen Bildung.Damit wird die Bildungsbeteiligung auch der Kinder aus den bildungsferneren Schichten sinken.

Diese Entwicklung ist für den Bremer Westen katastrophal, weil hier durch gute und intensive Kooperationen über die Schulstufen und Schularten hinweg in der Vergangenheit erreicht worden war, auch ohne durchgängiges Gymnasium attraktive Bildungsangebote bis zum Abitur zu schaffen. Die Kinder und Jugendlichen wurden an den Stadtteil gebunden, zudem ist es in der Sekundarstufe II auch zu Anwahlen durch Jugendliche aus anderen Stadtteilen gekommen. Nicht umsonst zählen das SZ Am Rübekamp und das SZ Walle zu den beliebteren Oberstufen.

Mit der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft ist es bisher gelungen, eine relativ hohe Bildungsbeteiligung der Jugendlichen aus den Migratenfamilien und den sozial schwachen Familien zu erreichen. Diese wertvolle Arbeit wird durch die politischen Beschlüsse und die daraus resultierende Praxis weitgehend negiert. Die Sozialdemokratie verstößt ihre Kinder. Damit künftig überhaupt noch die Chance besteht, eine Alternative zu den neuerdings wieder gehätschelten Innenstadtgymnasien zu bieten, bleibt eigentlich nur noch die Forderung, am Waller Ring ein durchgängiges Gymnasium zu errichten. Dann können sich die Eltern aus dem Stadtteil wenigstens zwischen zwei klaren Alternativen in der Region entscheiden.

Fotohinweis: Helmut Zachau, bildungs-politisch engagiert,Mitglied der Schulleitung am Schulzentrum Waller Ring