Auch Juristen vertrauen Schröder

Die meisten Verfassungsrechtler akzeptieren die Begründung des Kanzlers für Neuwahlen. Daran ändert auch Münteferings öffentliches Vertrauensbekenntnis nichts. Selbst Skeptiker raten dem Bundespräsidenten: Augen zu und durchwinken

VON CHRISTIAN RATH

Der Weg zu Neuwahlen scheint frei zu sein. Zumindest hat der Ablauf der Vertrauensabstimmung am Freitag die Zweifel vieler Verfassungsexperten an der Verfassungsmäßigkeit ausgeräumt. Für Irritationen sorgte nur SPD-Fraktionschef Franz Müntefering, der in seiner Rede vor dem Bundestag gesagt hatte: „Wir sind uns einig, dass der Bundeskanzler das Vertrauen der SPD-Fraktion hat und dass wir ihn weiter als Bundeskanzler wollen.“

Wie die Welt am Sonntag berichtet, sorgte Münteferings Aussage im Bundespräsidialamt für „erhebliche Irritationen“. Der Fraktionschef habe die Auflösung des Bundestags damit nicht gerade erleichtert. Auch der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee hält die Erklärung Münteferings für problematisch: „Er hat die Begründung des Kanzlers ad absurdum geführt.“

Gerhard Schröder hatte in seiner Rede erklärt, er könne sich nicht auf das „stetige Vertrauen“ der Parlamentsmehrheit verlassen, und so seinen Wunsch nach Neuwahlen gerechtfertigt. Insbesondere verwies er auf SPD-Abgeordnete, die aus Frust über die Agenda 2010 mit dem neuen Linksbündnis liebäugeln.

Mit dieser Offenheit hat Schröder zahlreiche bisher kritische Verfassungsrechtler überzeugt – zum Beispiel den Bonner Christian Hillgruber: „Die Einschätzung des Kanzlers ist gut nachvollziehbar“, sagte Hillgruber. „Es war die richtige Begründung, um Neuwahlen zu erreichen“, betonte auch sein Münchener Kollege Peter M. Huber. Selbst Josef Isensee gab sich letztlich versöhnlich: „Mit viel, viel Wohlwollen und zumindest einem zugedrückten Auge könnte der Bundespräsident das passieren lassen.“ Allerdings ist es nach Meinung der Ex-Verfassungsrichterin Karin Graßhoff „fraglich“, ob die angenommene Instabilität der Regierung bereits „konkret genug dargelegt“ ist.

In einem Urteil von 1983 hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass eine vorgezogene Neuwahl nur dann durch eine absichtlich verlorene Vertrauensabstimmung herbeigeführt werden darf, wenn eine „politische Lage der Instabilität zwischen Bundeskanzler und Bundestag“ besteht. Der Kanzler habe hierbei aber einen weiten Einschätzungsspielraum.

Deshalb wird es bei einer Prüfung in Karlsruhe vor allem auf die Sicht des Kanzlers ankommen. Und Schröder hatte sich am Freitag beklagt, dass er derzeit auf öffentliche Vertrauensbekenntnisse wenig geben könne. Dagegen ist das von Müntefering im Namen der Fraktion verkündete Vertrauensbekenntnis verfassungsrechtlich ähnlich unwichtig wie vergleichbare Zusicherungen der linken Abgeordneten von SPD und Grünen.

Dem Bundespräsidenten dürfte die kleine Verwirrung um Münteferings Äußerung sogar passen – denn für ihn ist sie ein Grund mehr, sich volle drei Wochen Bedenkzeit zu lassen. Würde er das nicht tun, müsste womöglich schon Anfang September gewählt werden. Und das, obwohl manche Bundesländer dann noch Schulferien haben.