: Muss man Angst vor Salafisten haben?JA
EXTREMISMUS Mit demokratie-feindlichen Weltbildern erobern Salafisten die Herzen junger Muslime in Deutschland. Die Ursachen dafür gehen alle an
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Louise Baghramian, Koordinatorin des interkulturellen Frauenhauses in Berlin
Als Frau habe ich Angst vor allen Gruppierungen, die fundamentalistisch sind – seien sie muslimisch, christlich, jüdisch oder nationalistisch. Diese haben nicht nur bestimmte Glaubenssätze, die sie auf das Leben übertragen, sondern sie wollen bestimmen, wie man zu leben hat – insbesondere wie Frauen zu leben haben. Denn Frauen wird im fundamentalistischen Kontext Symbolcharakter beigemessen: Hüterin der Kultur und Kontrolle über die Reproduktion fließen dabei zusammen. Kommt hinzu: Wo Gott – wie bei religiösem Fundamentalismus – das letzte Wort hat, gibt es keine zivilrechtliche Instanz mehr, die ein Individuum schützen und seine Rechte verteidigen könnte. Die Salafisten sind extrem fundamentalistisch. Sie missionieren, sie ideologisieren die, die sie rekrutieren, das alles macht sie gefährlich. Ich kann nicht einschätzen, ob sie schnell groß werden, aber als Iranerin, die für ihren Protest für Freiheit ins Gefängnis kam, bin ich sehr vorsichtig, wenn ich solche Entwicklungen sehe. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, bloß weil ich aus dem Iran komme.
Serap Cileli, 46, Autorin, Gründerin des Menschenrechtsvereins peri e.V.
Ein Leben nach dem Wortlaut des Koran und dem Vorbild des Propheten ist für die Salafisten das höchste Gebot. Wer das nicht tue – so ihre einfache und eindringliche Botschaft –, leide auf ewig in der Hölle. Mit praktischen Vorgaben und plastischen Lehren dieser Art erreichen sie eine Großzahl von Jugendlichen – auch deutsche. Diese werden durch Vorträge im Internet und in Moscheen radikalisiert und indoktriniert. Die Eltern verlieren völlig den Zugang zu ihren Kindern und wenden sich in ihrer Not an uns. Die Salafisten sind allerdings nur die auffällige und gewaltbereite Speerspitze eines höchst orthodoxen Islams in Deutschland. Sowohl die Politik als auch die Gesellschaft müssen sich diesem Problem stellen.
Stefan Barthel, 49, arbeitet in der Leitstelle für Sektenfragen beim Senat von Berlin
Jugendliche auf der Suche nach Sinn, Identität, Vorbildern und religiöser Verwurzelung sind ideale Ziele der aggressiven Anwerbung der Salafisten. Bei den Familien, deren Kinder zum Salafismus übertreten, führt dieser Weg zu Leid und Verzweiflung. Denn die Eltern sind aus Sicht der Konvertiten Vertreter der dekadenten westlichen Welt. Zudem gehen sie davon aus, dass die Eltern im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen. Kontakt erscheint ihnen – wenn überhaupt gewollt – viel zu riskant. So stehen die Eltern allein mit ihrer Angst, ihrer Rat- und Hilflosigkeit und ihren Schuldgefühlen.
Uwe Roos, 46, psychologischer Berater und Journalist, äußerte sich auf taz.de
Man kann genauso viel Angst vor fundamentalen Christen haben, vor rechten und linken Radikalen oder markthörigen Neoliberalen. Man kann Angst haben vor der Aushöhlung der Demokratie durch Lobbyisten und vor wirtschaftlicher Diktatur, vor Krieg und sozialer Kälte, vor Krankheit, Armut und vor dem Tod. Der Mensch ist ein irrationales Wesen und Angst ein elementaren Bestandteil seiner Psyche.
NEIN
Hans-Peter Friedrich, CSU, Jurist, Bundesminister des Inneren in Deutschland
Todesdrohungen, Hass-Videos gegen Andersgläubige, radikale Ablehnung unseres Grundgesetzes, Mordaufrufe gegen Journalisten. Im Mai lieferten sich Salafisten Straßenschlachten mit der Polizei. Zwei Beamte wurden schwer verletzt – das sind Taten und Botschaften von radikalen Salafisten in Deutschland. In den vergangenen Jahren ist diese radikal-islamistische Bewegung rasant gewachsen. Wir wissen, dass nicht jeder Salafist ein Terrorist ist, aber jeder islamistische Terrorist hatte Kontakt zu Salafisten. Dennoch: Wir haben keine Angst, sondern sind wachsam. Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit sind Ausdruck unseres freiheitlichen Staates. Gerade ein solcher muss wehrhaft sein, gegen die Feinde, die die Freiheit beseitigen wollen. Mit dem Verbot und der Auflösung eines salafistischen Vereins sowie unseren Razzien gegen zwei weitere Vereine haben wir hier ein klares Signal gesetzt.
Claudia Schmid, Juristin und Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes
Die Bilder der brutalen Gewalt zwischen Salafisten und Rechtspopulisten haben uns alle erschreckt. Gefährlich ist vor allem die Stimmung, die diese Eskalationen provoziert: Misstrauen gegen eine gesamte Religion. Oftmals wird nicht differenziert zwischen dem Islam und dem politischen Islamismus und seiner besonders militanten Variante – dem Salafismus. Der Islam wird von zwei Seiten missbraucht: von den Salafisten, die ihn als Deckmantel für ihre politische Ideologie nutzen. Und von den Rechtspopulisten, die das Feindbild des Salafismus benutzen, um die Muslime zu diskreditieren. Wir müssen aufklären. Wir müssen wachrütteln und gemeinsam mit der muslimischen Community klarmachen: Salafisten sind Feinde der Demokratie, Feinde unserer Freiheit.
Götz Nordbruch, 38, arbeitet bei ufuq e. V. über Jugend und Migration
Bis heute müssen sich junge Muslime, die in Deutschland aufgewachsen sind, fragen lassen, wo sie eigentlich herkommen. Schlagzeilen wie „Wie viel Islam verträgt Deutschland?“ sind ein Schlag ins Gesicht. Dagegen versprechen Salafisten Stärke, Orientierung, Gemeinschaft. Kein schlechtes Angebot, wenn einem in Schule, Freizeit und Beruf ständig jemand ein Bein stellt. Umso wichtiger ist es, jungen Muslimen gesellschaftliche Perspektiven zu verschaffen – als deutsche Muslime. Empowerment statt Rattenfängertum!
Aiman Mazyek, Medienberater, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland
Durch die ständige Hervorhebung eines Randphänomens besteht die Gefahr, dass die friedliebende muslimische Mehrheit unter die Räder kommt. Natürlich muss sich der Staat denen gegenüber, die gewalttätig unsere Verfassung bekämpfen und Straftaten verüben, wehrhaft erweisen – ganz gleich, ob es sich dabei um einen Muslim, eine Person anderer oder gar keiner Religion handelt. Auf der anderen Seite aber muss Deutschland auch gesamtgesellschaftlich gegen Rassismus – und dazu gehört die strukturelle Diskriminierung von Muslimen – kämpfen und die Muslime anerkennen.