Jagd nach Old-School-Glamour

Frustboheme, Noblesse und Whiskeystimme: Hollywoodstars entdecken auf den New Yorker Broadway-Bühnen eine Art der Imagepflege wieder, die an die glorreichen Tage des Starsystems erinnert. Auch politische Stellungnahmen sind dann möglich

von DANIEL SCHREIBER

Es scheint Jahrzehnte her, dass das amerikanische Starsystem noch die Brücke zwischen einvernehmlicher Massenwirksamkeit und entrücktem Glanz schlagen konnte. Je stärker aber Hollywood auf Massenwirksamkeit setzt, desto schneller wächst der Bedarf der Tabloids an Fotos und Geschichten über Kleidungsfehlfunktionen, auf Hotelpersonal geschmissene Telefonhörer und Affären mit verheirateten Schauspielerkollegen. Vor diesem Hintergrund wirkt es wie eine Glamour-Renaissance, wenn sich Hollywoodschauspieler auf eine Art der Imagepflege besinnen, die auf altmodische Werte wie schauspielerisches Handwerk, Virtuosität und Publikumsnähe setzt, und sich für einen Bruchteil ihrer üblichen Gagen auf den beschwerlichen Bühnen des Broadways abackern. New Yorks Theaterszene, notorisch für ihre Behäbigkeit, ihren reaktionären Naturalismus und ihre gehässigen Kritiker, war zwar schon immer etwas starsüchtig. Doch wo es früher hauseigene Berühmtheiten gab, überschwemmen heute Stars und Sternchen aus der Filmwelt den Spielplan. Denzel Washington, Ben Stiller, Ethan Hawke und Kathleen Turner sind nur einige unter ihnen.

Künstlerischer Spielplatz

Einerseits ist die erhöhte Hollywoodpräsenz im ökonomischen Druck der amerikanischen Theaterhäuser begründet. Für Europäer ist es schwer nachzuvollziehen, dass Inszenierungen ohne staatliche oder städtische Subventionen Gewinn machen müssen. Aber selbst in der Touristenstadt New York werden seit einigen Jahren immer seltener die Kosten eingespielt. Grund sind erhöhte Saalmieten, gewerkschaftlich vorgeschriebene Mindestlöhne für Techniker und Bühnenarbeiter und der schwindende Absatz der Tickets, die sich für Off-Broadway-Stücke bei 50 bis 60 Dollar eingependelt haben und beim Broadway schon mal mehr als 100 Dollar kosten – Preise, die selbst ausgesprochene Theaterliebhaber schrecken. Die Hollywoodstars schaffen in dieser Malaise Abhilfe.

Andererseits scheint es, als nähmen viele Schauspieler die Theateraufträge an, um ein künstlerisches Ablassventil zu finden oder dem engen filmischen Type-Casting zu entkommen. Ben Stiller und Ethan Hawke etwa wurden im April in einem Publicity-Coup von den renommierten Off-Theatern „Public Theater“ und „The New Group“ angeheuert. Die beiden Schauspieler sorgten nicht nur dafür, dass die dreimonatigen Laufzeiten der Inszenierungen schon nach wenigen Tagen ausverkauft waren, sondern machten diese auch zu den künstlerisch anspruchsvollsten Arbeiten der Saison. In „This Is How It Goes“ schrieb Neil LaBute, Amerikas interessantester zeitgenössischer Dramatiker, dem Komiker Stiller, Amerikas liebstem erwachsenen Kind, die Rolle eines weißen Mittelklasse-Ekels auf den Leib, der einem nicht minder unangenehmen Schwarzen die Frau ausspannt. Minimalistisch und ironisch ruderte Stiller durch einen Dschungel von politischer Korrektheit, Misanthropie und rassistischen Vorurteilen und war gar nicht wiederzuerkennen als die Nervensäge aus Megasellern wie „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich“.

Ethan Hawke hingegen, der sensibelste und doch zerrissenste aller zarten Hollywoodmänner, blieb seiner Rolle treu, wie man ihn in Chick Flicks „Reality Bites“ lieb gewinnen konnte. In David Rabes Retro-Drama „Hurlyburly“ um die drogenlastige Frustboheme der Achtziger gab er eine erstklassige Rampensau zwischen Volltrunkenheit und bittersüßem Weltschmerz. Beide Inszenierungen verrückten die Naturalismus-Obsession des New Yorker Theaters ein bisschen ins Modisch-Zeitgemäße. Man konnte ganz glücklich darüber sein, dass sich die Celebrities gerade die Off-Bühnen als künstlerische Spielplätze ausgesucht hatten.

Amerikas gutes Gewissen

Das Publicity-Spektakel, das bei solch prominenten Rollenbesetzungen auf Talkshows wie „Larry King Live“ (CNN) und „Charlie Rose“ (PBS) einsetzt, bietet auch die Möglichkeit für politische Stellungnahmen. So nutzte Grande Dame Vanessa Redgrave („Wiedersehen auf Howards End“) ihre Stunde Primetime bei Larry King, um eine überzeugte Rede gegen den Terrorkrieg loszuwerden. Anlass war eine „Hecuba“-Produktion der Royal Shakespeare Company, mit der sie Ende Juni in der „Brooklyn Academy of Music“ zu Gast war. Das Euripides-Drama war wohlweislich mit aktuellem Politvokabular von „Koalition“ bis zu „Terroristen“ aufgepeppt worden. Selbst das Bühnenbild erinnerte an die irakische Wüste. Doch so sehr man die gütigen Versuche auch schätzte, sie schossen doch ins Leere. Da konnte auch eine eindrückliche Redgrave mit schlohweißen, zersausten Haaren und weiten, verwirrten Augen nicht helfen.

Einsätze als das gute Gewissen Amerikas gelangen Schauspielern wie Sigourney Weaver besser. Noch vor den Präsidentschaftswahlen des letzten Jahres outete diese sich in der „Flea-Theater“-Produktion von A. R. Guerneys „Mrs. Farnsworth“ mit leuchtenden Augen als zauberhafte Bush-Gegnerin. Auf ähnliche Weise zementiert gerade Denzel Washington in einer Daniel-Sullivan-Inszenierung von Shakespeares „Julius Cäsar“ im „Belasco-Theater“ sein Image als nobelster aller Filmstars, indem er den Brutus als den Aufrichtigen spielt, der gegen die Diktatur Cäsars angeht und dem die jambischen Pentameter des Shakespeare-Englisch mit Bravour von den Lippen gehen. Die nicht abreißenden Zuschauermassen belohnen ihm das mit stehenden Ovationen.

Wettkampf der Diven

Aber gerade beim Star aus „Der Manchurian Kandidat“ zeigt sich auch das große Risiko der Besetzung von Theaterrollen mit Hollywoodschauspielern. Denn die Zuschauer gehen zwangsläufig ins Theater, um das Idol von ganz Nahem betrachten zu können. Die allgemeine Abwesenheit von Ironie und die realistische Strenge der New Yorker Bühnen machen es unmöglich, diese Erwartungshaltungen zum spielerischen Vorteil zu nutzen. Zumeist sieht man daher einen bekannten Schauspieler, der sich abmüht, ganz in der Illusion einer Rolle aufzugehen, dazu aber unter anderem aufgrund seiner Bekanntheit nicht imstande ist. Das kann man sich auch im Kino anschauen. Nur selten gelingt die Überlagerung des tausendfach abgelichteten Celebrity-Gesichts mit dem Theaterauftritt.

Auffällig ist dieses Dilemma auch bei drei aktuellen Klassiker-Neuauflagen. Einen regelrechten Wettkampf der Diven durfte man zwischen Jessica Lange („Big Fish“) in der „Glass Menagerie“, Natasha Richardson („Nell“) in „A Street Car Named Desire“ und Kathleen Turner („Der Rosenkrieg“) in „Who is Afraid of Virginia Woolf?“ erwarten. Aber während Lange und Richardson ihre hysterischen Heroinen mit eleganter Hingabe und in maßgeschneiderten Couture-Kostümen spielen, als kämen sie eben von einem ausgiebigen Spa-Besuch, kann sich nur Film-noir-Idol Turner aller Eitelkeiten auf der Bühne entledigen und eine frappierende Fusion von Rolle und Schauspielerin hinlegen.

Das ist dann aber auf eine so altmodische Weise schön, man hätte es gar nicht für möglich gehalten. Die mittlerweile wuchtige Fünfzigjährige bringt auch das Zeugs mit für Edward Albees Martha. Jahrelang hatten die Boulevardblätter des Landes Turners Alkoholsucht und ihre Arthritis, die mit aufschwemmenden Steroiden behandelt wurde, mithilfe schlimmster Paparazzi-Schnappschüsse durch den Dreck gezogen. In der Anthony-Page-Inszenierung auf der Bühne des „Longacre Theater“ kann sie, in engen Leopardenhosen und tief ausgeschnittener Bluse, über all diese Bilder glänzend triumphieren und wirkt zuweilen wie ein Raubtier auf erotischer Jagd. Mit ihrem faltigen Gesicht und ihrer über die Jahre noch rauchiger gewordenen Whiskeystimme gelingt es Turner unglaublich präzise, Marthas Gefühlslage aus Bitterkeit, Wut und kindlichem Anerkennungsbedürfnis auszustrahlen. Schon nach der ersten Szene sind alle hässlichen Bilder, gemeinen Tabloid-Berichte und verfrühten Karrierenachrufe aus dem Gedächtnis gewischt, und sie ist plötzlich greifbar, die Aura des schillernden Stars. Man kann ihn spüren, den Old-School-Glamour.