: „Das Supervirus kommt“
Dass die Vogelgrippe zu einer weltweiten Epidemie werden wird, ist unstrittig. Es gehe nur noch um das Wann, meint Expertin Sabine Reiter. Und um die richtige Vorbereitung
taz: Frau Reiter, was raten Sie deutschen Touristen? Können sie noch in Länder wie China, Vietnam oder Thailand reisen, wo es die Vogelgrippe gibt?
Sabine Reiter: Ja, bislang ist der Mensch nur gefährdet, wenn er mit dem Geflügel engen Kontakt hat. Deshalb rät das Auswärtige Amt nach Vietnam oder anderen betroffenen Ländern Reisenden, keine Märkte zu besuchen, wo auch lebende Hühner verkauft werden.
Aber UN-Experten haben jetzt gewarnt, die Vogelgrippe werde sich weltweit ausbreiten. Massenhaft könnten Menschen daran erkranken. Wie realistisch ist das?
Tatsächlich ist die Frage nicht mehr, ob es eine solche Pandemie gibt – sondern nur noch, wann und in welchem Ausmaß. Denn das hochaggressive Vogelgrippevirus, das in Asien schon sehr stark verbreitet ist, hat die Fähigkeit erlangt, auf Menschen überzuspringen. Und es trainiert weiter. Irgendwann wird eine effektive Mensch-zu-Mensch-Übertragung möglich sein.
Die Angst vor einem Supervirus ist also berechtigt?
Ja, stellen Sie sich vor, ein Mensch infiziert sich zugleich mit der Vogelgrippe und der menschlichen. Die Viren tauschen ihre Erbinformationen aus. Ein völlig neues Virus entsteht, gegen das die Bevölkerung nicht immun ist.
Was schätzen Sie, wie schnell wie viele Menschen erkranken?
Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Doch kann sich das Virus wegen der weltweiten Märkte und des starken Reiseverkehrs ganz schnell ausbreiten. Denken sie nur an die Lungenkrankheit Sars. Da trat 2003, bereits drei Tage nachdem die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, weltweit gewarnt hatte, der erste Fall in Deutschland auf. Und gefährdet sind dann alle; einen Unterschied zwischen Alt und Jung gibt es bei der Vogelgrippe nicht.
Wie erkenne ich denn, ob ich krank bin?
Das ist in der Regel wie bei einer normalen Virusgrippe; der Zustand verschlechtert sich schlagartig – hohes Fieber, Husten, Atemnot, Halsschmerzen. Wer zuvor in Asien war, engen Kontakt zu Geflügel hatte und das bekommt, sollte sofort zum Arzt gehen. Allerdings ist das Risiko für den Einzelnen derzeit gering.
Wie gut ist Deutschland gegen eine Vogelgrippewelle gerüstet?
Für den Fall der Fälle gibt es weltweit zunächst keinen Impfstoff. Der kann erst entwickelt werden, wenn der Erreger auftritt und entschlüsselt ist. Doch haben Bund und Länder im Pandemieplan angekündigt, die Impfstoffentwicklung schon jetzt voranzutreiben. Außerdem sollen die jährlichen Grippeimpfraten erhöht und Medikamente bevorratet werden. Zudem müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Viren effektiver überwachen zu können.
Die normale Grippeimpfung schützt?
Nein, nicht vor der Vogelgrippe. Trotzdem müssen wir jedes Jahr vermehrt gegen die normale Grippe impfen, was ohnehin gut ist für die Bevölkerung. Gleichzeitig werden so die Produktionskapazitäten für Impfstoffe ausgebaut. Denn diese reichen bisher nicht, um die Weltbevölkerung bei einer Pandemie zu versorgen. Bisher gibt es rund um den Globus nur zehn Hersteller von Grippeimpfstoffen. Wir müssen jetzt die Impfraten erhöhen, damit es mehr werden.
Was kostet denn das?
Die Investitionen in die Entwicklung von neuen Pandemieimpfstoffen werden auf 100 Millionen Euro geschätzt, für jede Impfdosis müssen dann noch mal rund 5 Euro kalkuliert werden.
Zwar besteht ein Importverbot für asiatisches Geflügel, doch sollten besorgte Verbraucher einfach darauf verzichten, Hühnerfleisch zu essen?
Das ist nicht nötig. Die Viren werden abgetötet, wenn das Fleisch gut durchgebraten oder gekocht wird. Und das empfehlen wir schon allein wegen der Salmonellengefahr.
INTERVIEW: HANNA GERSMANN