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Archiv-Artikel

Boris Besserverdiener spielt hier nicht

TENNIS Tennis ist nicht nur ein Sport, der mit den Zyklen der Jahreszeiten kommt und geht. In den Ostbezirken der Stadt ist er so exotisch wie alltäglich. Jetzt aber ist die Saison vorbei, die Frist ist wieder einmal abgelaufen

In der DDR war Tennis nie ein „Bonzensport“, sondern geduldete Freizeitbetätigung der Arbeiterklasse

VON ANDREAS HARTMANN

Die Kastanien fallen von den Bäumen, die Tage werden kürzer, der Sommer geht. Für uns Tennisspieler, die wir in Berlin und nicht in der Karibik leben, bedeutet dies vor allem: Die Saison ist bald zu Ende. Die Dramatik, die damit verbunden ist, können Menschen, die andere Sportarten treiben, Tischtennis, Schwimmen, Joggen, Fitness oder Schach, meist schwer verstehen. Sie können ihren Sport das ganze Jahr über ausüben, Tennis aber ist, wie vielleicht ansonsten nur Beachvolleyball, ein saisonaler Draußensport. In der Halle zu spielen, im Winter, das geht einfach nicht. Das ist unwürdig und ganz nebenbei auch viel zu teuer.

John McEnroe hat sich jüngst beschwert, dass das Herrenfinale der diesjährigen US Open erneut um einen Tag verschoben werden musste, weil das Wetter in New York mal wieder nicht so war, wie es hätte sein sollen. Er verlangt ein Dach über dem Center Court, damit sich sein Sport unabhängig vom Wetter mache. McEnroe hat in diesem Punkt leider nichts verstanden. Dass es mal windet, den Ball verbläst, die Sonne beim Aufschlag blendet, der Nieselregen ausgerechnet beim Satzball einsetzt, das nervt zwar während des Spiels, aber eigentlich gehört das mit zum Tennis und seinen Unwägbarkeiten – wie die Fehlentscheidung des Schiedsrichters beim Fußball, die einen emotional stärker durchrüttelt als das schönste Tor.

Der Zyklus des Lebens

Die Saison also geht zu Ende, und dieses Ende mutet fast an wie eine Allegorie auf das Leben selbst. Was wäre das Leben ohne den Tod? Ein ziemlich langweiliges Vor-sich-Hin-Leben wahrscheinlich. Was eine Tennissaison ohne die Frist, die abläuft? Sie wäre jedenfalls anders. In meinem Verein hocken wir erst jetzt plötzlich abends länger zusammen und sind ein wenig wehmütig, weil wir uns bald wieder für ein halbes Jahr voneinander verabschieden. Im Herbst sind wir Tennisspieler melancholisch und im Frühjahr voll der Vorfreude, weil der nächste Zyklus des Lebens bald wieder beginnt.

Wenn ich jemandem erzähle, ich spiele Tennis, sind die Reaktionen eigentlich immer die gleichen. „Voll Achtziger“, das fällt allen ein. Schweißbänder, Boris, Besserverdienersport, Tennissocken. Tennis ist für die meisten absolut nicht berlinmäßig, also eher uncool. Tennis ist für Friedrichshainer oder Kreuzberger immer noch die Freizeitbeschäftigung von Ärzten und ihren Gattinnen in Zehlendorf. Und radelt man am Boxhagener Platz vorbei mit seinem Tennisschläger in der Tasche, wird man angeschaut, als würde auf dieser „Ich wähle FDP“ stehen. Daher gibt es in Wahrheit kaum etwas Unangepassteres, als Tennis hier zu spielen. In Friedrichshain sowieso. Autos anzünden, das tut hier jeder; wir spielen Tennis, die echte Subkultur hier, das sind also wir.

Niemand in Weiß

Dabei gibt es bei uns nicht einmal Sektchen nach dem Spiel, wie immer noch alle zu denken scheinen, sondern billigeres Bier als an der Tanke. Es gibt keine Erdbeeren wie in Wimbledon, sondern bei besonderen Anlässen Kartoffelsalat von Aldi. Bei uns spielt niemand in Weiß, sondern so, wie es einem gefällt, bei sommerlichen Temperaturen auch oben ohne. Wobei das die Momente sind, wo man sich ein wenig klassische Tennis-Etikette zurückwünscht.

In der DDR war Tennis nie der Bonzensport, als der er im Westen angesehen wurde, sondern geduldete Freizeitbetätigung der Arbeiterklasse. In den ehemaligen DDR-Vereinen Berlins hat sich dieses Arbeitervereinsmäßige bis heute gehalten, während all die nach Berlin gezogenen Schwaben, die in den Boris-Zeiten aufgewachsen sind, riesige Anlagen in jeder noch so kleinen Stadt zwischen Bodensee und Stuttgart gewohnt sind. Drei Plätze und eine Baracke, so sehen die meisten Vereine im Osten der Stadt auch heute noch aus. So lässt sich noch heute, wo die ganze Stadt durchsaniert ist, mit nichts besser als im Vergleich der Tennisvereine erkennen, was Ost wirklich von West unterschieden hat. Zeig mir deinen Tennisverein, und ich sag dir, ob wir uns hüben oder drüben der ehemaligen Mauer befinden. Dieses Wochenende ist Saisonabschluss, der Platzwart wird eine Rede halten, und es wird Kartoffelsalat geben. Wir werden noch einmal auf dem Platz stehen. Dies Mal vielleicht sogar ganz in Weiß. Oder oben ohne.