Schule in Stahlbeton

SPD stellt Anfrage zur Durchlässigkeit des Schulsystems. 130 Einzelfragen von der Grundschule bis zum Abitur sollen die Hindernisse aufzeigen

„Wir wollen aufzeigen, wo die Stellschrauben sind, damit man sie lockern kann“

Von Kaija Kutter

Wenn die Sommerferien zu Ende sind, haben die neuen Viertklässler noch drei Monate Schule. Dann beginnen im November bereits die ersten Elterngespräche, bei denen die Lehrer sagen sollen, ob ein Kind eine Empfehlung fürs Gymnasium oder für die Haupt- und Realschule bekommt. Ein Ritual, das in Hamburg Jahr für Jahr fortgeführt wird, völlig unbeeindruckt von der Debatte nach Pisa.

Die Schulpolitiker der SPD-Fraktion nutzen jetzt die Sommerferien für eine große Anfrage an den Senat mit rund 130 Einzelfragen, welche die Bildungsbehörde binnen vier Wochen beantworten muss. Dabei heraus kommt vermutlich ein großer Datenberg, der neuen Zündstoff für die Schuldebatte bietet.

So fragen die Abgeordneten ganz schlicht, aufgrund „welcher Kriterien“ eigentlich Grundschulen ihre Empfehlungen gäben und in welcher Rechtverordnung dies geregelt sei. Ferner wollen sie wissen, wie viele Empfehlungen seit 1995 für welche Schulform ausgesprochen wurden und wie hoch hier wiederum der Migrantenanteil ist. Denn empirische Schuluntersuchungen in Hamburg wie die Lernausgangsuntersuchung „Lau“ und die Grundschulstudie „Iglu“ kamen zu dem Fazit, dass „die Hälfte“ dieser Empfehlungen „fragwürdig“ sei.

Spannend auch die Frage, in welchem Verhältnis zu den Empfehlungen das „tatsächliche Leistungsvermögen“ der Kinder steht, was, so die Antragsteller, anhand der in den 90ern erhobenen Lau-Daten für die Klassen fünf, sieben und neun beantwortet werden könne. Öffentlich kund tun soll die Bildungsbehörde auch, wie viele Gesamtschüler einen höheren Abschluss erzielten, als ihnen die Lehrer in der vierten Klasse voraussagten. Und sie soll sagen, wie viele Eltern sich ganz anarchisch nicht an die Voraussage hielten.

Dass sie damit sogar richtig liegen können, legt eine Hamburger Studie von 1995 nahe, in der die Schulforscher Peter M. Roeder und Bernhard Schmitz herausfanden, dass die Mehrzahl der Abgänger vom Gymnasium eine Empfehlung für diese Schulform hatten, während die Mehrzahl der ursprünglich zur Realschule empfohlenen Gymnasiasten bleiben konnte.

2003 hat der Senat die Spielregeln verändert, sodass Kinder schon nach der fünften Klasse vom Gymnasium fliegen können. Hier soll der Senat sagen, wie viele Kinder dies betrifft. Auch dem Sitzenbleiben ist ein ganzes Fragenkapitel gewidmet, ebenso wie den Sonderschulen, zu der manche Kinder gleich eingeschult werden. Die SPD will wissen, in welchen Stadtteilen dies geschieht und wie oft es überhaupt passiert, dass Kinder zur Regelschule „rückgeschult“ werden.

„Wir wollen darauf aufmerksam machen, wie viele Hürden es gibt“, erklärt Fraktionsvize Britta Ernst. „Und wir wollen aufzeigen, wo die Stellschrauben sind, damit man sie lockern kann.“ Bildungspolitik müsse allen Kindern die Chance geben, ihre Begabungen zu entwickeln.

Eine solche Hürde sei auch der Übergang von der Realschule zu einer weiterführenden Schule, wo der Senat seit 2001 gleich mehrfach den Notenschnitt erhöhte, um zu sparen. „Faktisch nicht mehr möglich“, so Ernst, sei der direkte Aufstieg von der Realschule zum Gymnasium, weil seit der Verkürzung des Abiturs auf zwölf Jahre nur dort die Stundentafel erhöht wurde. Hamburgs Schulsystem, so fürchtet sie, werde „durchlässig wie eine Stahlbetonwand“.