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Archiv-Artikel

Was wäre dir lieber …?

Nichts für schwache Nerven. Nur ein paar neue Entweder-oder-Fragen

Stellen wir uns nicht alle ständig Fragen? Große, existenzielle Fragen, woher wir kommen, wohin wir gehen? Nein? Dann stellen wir uns eben einfache, kleine Fragen. So wie der Scylla-und-Charybdis-Forscher Gerhard Henschel, der sich und andere am liebsten fragt: „Was wäre dir lieber …?“

Was wäre dir lieber, für den Rest des Lebens zwei hellgrüne, ungefähr kleinfingerlange und die Atmung nur minimal beeinträchtigende Rotzglocken aus den Nasenlöchern hängen haben oder infolge einer harmlosen, aber unheilbaren Geisteskrankheit zwanghaft jedes, aber auch jedes Gespräch mit dem hinausgebrüllten Satz „Hab ich doch neulich bei Lidl in der Schlange gestanden, nää, echt jetzt, und der vor mir so, bezahl-bezahl, und voll die vielen Sachen am Einpacken, ey, und ich so am Warten, am Warten – und der dann so, Wechselgeld runtergefallen, und ich so, boah, der Wahnsinn, und der so, aufsammel-aufsammel, und ich so, ey, hab ich dem halt die Ohren abgeschnitten“ eröffnen müssen?

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Was wäre dir lieber, bei 52 Grad Celsius als Gewehrreiniger einer marodierenden Reiterbande von Gotteskriegern im Hindukusch herumkriechen oder mit Joschka Fischer huckepack barfuß die Alpen überqueren?

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Was wäre dir lieber, anlässlich der Verleihung des Aachener Karlspreises an den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki mit einer zehn Zentimeter langen, schmerzhaft verkeilten Hechtgräte im Zahnfleisch die Laudatio halten oder dem Sieger eines 200-Kilometer-Nacktradelwettrennens übergewichtiger DVU-Wähler aus Königs Wusterhausen auf dem Siegertreppchen die Achselhöhlen ausschlecken?

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Was wäre dir lieber, eine neue Existenz als schizophrener Knecht eines irakischen Opiumbauern oder jeden Morgen, den Gott werden lässt, um Punkt halb sechs Uhr früh, egal wo du steckst, von einem kräftigen Orang-Utan aus den Federn gerissen werden, der dich in ein Fass mit Heringslake und Pumadurchfall tunkt, bevor er dich in einem gigantischen Haufen kalter Zigarrenasche aus Neuköllner Rentnerkneipen paniert?

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Was wäre dir lieber, einmal am Tag – die Uhrzeit dürftest du dir aussuchen – von sächsischen Diplombiologen unter notarieller Aufsicht den Inhalt einer großen, bis zum Gehtnichtmehr mit wuselnden Silberfischchen gefüllten Aldi-Einkaufstüte hinten in den Kragen getrichtert bekommen oder an der Seite von Paul Breitner in einem Tretboot den Atlantik überqueren?

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Was wäre dir lieber, ins Koma sinken und als lebendig Begrabener in einem engen und kargen Dreimannsarg Seit’ an Seit’ mit den ebenfalls lebendig begrabenen Herren Stefan Effenberg und Dr. Helmut Kohl erwachen oder aber mit den Wildecker Herzbuben als Sargpartnern?

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Was wäre dir lieber, einmal jährlich auf allen Vieren im Taucheranzug mit Taucherbrille, Schnorchel und Taucherflossen von Elisabethaußengroden über Stockholm, Salzburg, Bukarest, Minsk und Peking nach Hongkong pilgern oder einmal monatlich ein Einbruch in deine Wohnung, wobei die Einbrecher nichts stehlen, sondern jedes Mal 3.000 verfaulte Räuchermakrelenfilets mitbringen und in sämtlichen Räumen verstecken?

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Was wäre dir lieber, im Hochsommer als Straßenbauarbeiter nach einer Achtstundenschicht am Presslufthammer im Großraum Braunschweig in einen grausig überfüllten Linienbus steigen, der an der nächsten Haltestelle von tamilischen Separatisten gestürmt und nach Sri Lanka entführt wird, oder bei einer Pyjama-Wahlparty der Grünen in einem Vorort von Uelzen den Holzkohlegrill verwalten und dir vom Überraschungsgast Wolfgang Niedecken eingehend erläutern lassen, dass du a) das Fleisch, damit es saftig bleibt, mit dem Spatel mehrmals wenden und es erst nach einer zwei- bis dreiminütigen Ruhephase verzehrgerecht salzen und mit Pfeffer und Paprika würzen solltest, und dass du b) jedes Mal, wenn Fett in die Glut tropft, den Rost kurz entfernen musst, bis die Flammen verlöschen, und zwischendurch käme immer wieder einmal Claudia Roth angehoppelt, in einem bonbonrosafarbenen Schlafsack mit Miró-Motiven, um dir das eine oder andere Häppchen vom Spatel zu naschen? GERHARD HENSCHEL