Ich hasse meinen Chef

ANARCUMBIA In Mexiko wird am Sonntag gewählt – die Popsängerin Amandititita hat sich lautstark in den Wahlkampf eingemischt. Zuvor hat sie schon die Cumbia-Szene kräftig durcheinandergewirbelt

Amandititita macht klassischen Cumbia, steht aber urbanen Subkulturen wie Punk oder HipHop nahe

VON FREDERIK CASELITZ

Der Wahlkampf in Mexiko steht kurz vor dem Ende. Am 1. Juli wird entschieden, in welche Richtung sich das Land die nächsten sechs Jahre bewegt. Die Gesellschaft spaltet sich zwischen den zwei wichtigsten Kandidaten: Enrique Peña Nieto, Vertreter der alten Staatspartei PRI, und Andrés Manuel López Obrador von der gemäßigten Linken. Auch vor der Musikszene macht die Politik keinen Halt.

Die Cumbiasängerin Amandititita ist eine der lauten Stimmen, ihre Meinung wird vor allem von jüngeren Mexikanern geschätzt. „Sie nennen mich Dienstmädchen, aber ich heiße Roberta“, singt Amandititia über eine fröhliche Melodie. Amandititita ist die dreifache Verniedlichung ihres Namens Amanda Escalante. Sie ist klein, ein wenig pummelig und sehr temperamentvoll. Ihr Vater Rockdrigo war ein mexikanischer Rocksänger, der beim Erdbeben von 1985 ums Leben kam. Auch Amandititita fühlt sich zur Musik berufen. Doch anders als ihr Vater macht sie Cumbia, gemischt mit Elementen aus Reggae und HipHop. Sie nennt es Anarcumbia, da es den Grundrhythmus der klassischen Cumbia behält, aber von der Haltung eher urbanen Subkulturen wie Punk oder HipHop näher kommt.

Amandititita schlüpft in ihren Songs gern in die Rolle gewöhnlicher Bürger und erzählt Geschichten aus dem Alltag. Cumbia ist auch in Mexiko heute die Musik der breiten Masse – kaum ein Radio, aus dem nicht eine eingängige Melodie trällert und ein Sänger oder eine Sängerin Gefühle besingt. Amor y desamor – Liebe und Liebesschmerz –, das sind die Themen, mit denen die Kolumbianerin Margarita la Diosa de la Cumbia oder Laura León den mexikanischen Mainstream dominieren. Selbst Schauspieler aus mexikanischen Telenovelas legen früher oder später Karrieren als Cumbiasänger hin.

Doch es gibt neben den erwartbaren Karrieren der Stars auch eine Subkultur, die sich um Cumbia herum gebildet hat. Ihre Musiker gelten als Helden ihrer Barrios, aber nur wenige von ihnen sind bekannt geworden. Amanda Escalante stellt sich in die Tradition des authentischen Cumbia und rebelliert gegen den Mainstream, der Cumbiamusik über Jahre für sich vereinnahmt hat. „Ich mache Musik, mit der ich viele Menschen erreichen kann, aber ich möchte eine kritische Richtung einschlagen und die Hörer zum Nachdenken bringen. Deswegen mache ich Cumbia, aber mit einer Botschaft.“

Güera Televisa

Ihr Song „La Güera Televisa“, was so viel heißt wie „Weiße aus dem Fernsehen“, ist eine Kampfansage an die mexikanische High Society. Denn während das einfache Volk größtenteils aus Mestizen besteht, den Nachfahren von Europäern und der indigenen Bevölkerung, so finden sich in den Medien fast ausschließlich groß gebaute Typen mit heller Haut und schlanke, kurvige Blondinen. „Damit meine Songs Erfolg haben, fehlt mir Silikon, ein Meter an Größe, ein anders definierter Körper, damit die Leute sagen, dass meine Musik Kultur ist“, singt Amandititia provokativ und schlussfolgert: „Mach mich weißer, oder ich verschwinde von der Erde“.

Im Video treten Amandititita und ihre Band mit blonden Perücken auf, die sie sich am Ende des Clips vom Kopf reißen. Es geht der Musikerin dabei nicht allein um das Aussehen, sondern vor allem um die Attitüde, die sich damit verbindet. „Das Problem von den Blonden aus dem Fernsehen ist eben auch, dass sie meistens keine eigene Meinung haben. Im Endeffekt machen sie doch nur das, was ihnen ihr Manager, ihr Mann oder eben der Politiker sagt. Ich hingegen möchte den Leuten zeigen, dass man auch als kleine, pummelige Frau, aufmüpfig sein kann und seine Meinung vertritt. Ich denke, dass sich viele mit mir identifizieren, da ich ihnen ähnlicher sehe.“

Ihre aufmüpfige Art eckt an. Nach dem großen Erfolg ihres Debütalbums überwarf sie sich mit Sony Musik, da ihr die Unterstützung fehlte. „Die wollten mir vorschreiben, worüber meine Songs handeln sollten und wie die dazugehörigen Videos auszusehen haben. Als ich das Ganze etwas kritischer aufziehen wollte, wurde ich fallen gelassen“, erklärt Amandititita. Aus Trotz schrieb sie den Song „Odio a mi jefe“ – „Ich hasse meinen Chef“, in dem sie symbolisch mit einem autoritären Vorgesetzten abrechnet. Seit ihrer Trennung von Sony macht Amandititita alles in Eigenregie und wird von ihrem Mann Ulises Lozano unterstützt, seinerseits Keyboarder der mexikanischen Band Kinky.

Die Veröffentlichung ihres letzten Albums ist schon drei Jahre her. Dennoch spricht Amandititita aktuell von der besten Zeit ihrer Karriere: „Natürlich dauert alles länger, da ich mich nun selbst um alle möglichen Kleinigkeiten kümmern muss. Aber aus musikalischer Sicht ist es ein Segen. Ich kann endlich allein entscheiden, welche Songs ich machen möchte und wie ich sie veröffentliche.“

Die erste Single, „La Criada“ (Das Dienstmädchen), stellte Amandititita zum freien Download ins Netz, und ihre Strategie scheint aufzugehen. Sie spielte auf dem größten Festival Mexikos, „Vive Latino“. Die Aufmerksamkeit um ihre Person nutzt Amandititita, um sich politisch einzumischen. Auch hier bleibt sie bei einem einfach zugänglichen Medium. Per Internet veröffentlicht sie wöchentlich Videos zur mexikanischen Wahl. Darin richtet sie sich vor allem gegen den populären Kandidaten Enrique Peña Nieto, der für die ehemalige Diktaturpartei PRI (Partei der institutionalisierten Revolution) antritt und dem gute Chancen auf den Wahlsieg eingeräumt werden.

Die PRI regierte Mexiko 70 Jahre lang autoritär und gilt als Inbegriff der Korruption. Erst 2001 wurde sie durch den Wahlsieg von Vicente Fox und der rechten PAN (Partei der nationalen Aktion) vom Thron gestoßen.

Rückkehr der Dinosaurier

In den letzten Jahren konnte sie von den Grabenkämpfen zwischen der linken PRD (Partei der demokratischen Revolution) und der rechten Regierungspartei PAN profitieren und ist seit den Gouverneurswahlen zu neuer Größe gewachsen. Das „Erwachen des Dinosauriers“ titelten mexikanische Zeitungen. Medienspektakel sind das Rückgrat von Peña Nietos Zustimmung in Mexiko. Er inszeniert sich gern als charismatischen Aufsteiger und Hardliner – immer mit Unterstützung des großen Medienkonzerns Televisa. Schon in der Vergangenheit war Televisa durch seine Loyalität zur früheren Staatspartei PRI Kritik von allen Seiten ausgesetzt. 2010, gerade als seine Ambitionen auf das Amt des Präsidenten bekannt wurden, heiratete Peña Nieto die Telenovela-Schauspielerin Angélica Rivera Hurtado. Der Glamour um die Hochzeit überschattete die politischen Skandale aus Peña Nietos Vergangenheit. Peña Nieto gilt seitdem als aussichtsreicher Anwärter auf das Amt des Präsidenten.

Amanda reagiert gereizt, wenn sie auf solche Mechanismen angesprochen wird: „Ich kann nicht glauben, dass jemand Peña Nieto wählt, weil er mit dieser Schauspielerin zusammen ist. In Mexiko gibt es so viele kultivierte und gebildete Menschen, aber ausgerechnet die dümmsten und ignorantesten stehen zur Wahl.“ Peña Nieto bestätigte dieses Urteil. Als er auf der internationalen Buchmesse in Guadalajara Bücher aufzählte, die sein Leben beeinflusst haben, ordnete er „La Silla del Águila“ Autor Enrique Krauze zu, obwohl es von Carlos Fuentes geschrieben wurde. „Vielleicht mag er ja Harry Potter“, spottet Amandititita und gibt deutlich zu verstehen, dass sie für die linke PRD stimmen wird: „Die PAN hat in den letzten acht Jahren das Land an den Abgrund getrieben, und ausgerechnet die PRI soll es jetzt retten? Ich bin keine überzeugte PRD-Anhängerin, aber ich werde sie wählen. Mexiko wurde noch nie von einer linken Partei regiert. Ich würde gern mal erleben, was dann passiert.“

Amandititita erhofft sich eine Liberalisierung der Drogenpolitik und dadurch eine Befriedung des Landes. Ihr neues Album wird diese Themen aufgreifen. „Ich wasche Teller, und mein Chef wäscht Geld. Sein Gewissen ist so dreckig wie mein Waschbecken“, sang sie in der Rolle eines Dienstmädchens auf ihrer ersten Single.