: berliner szenen Arme Esel
Sack kratzen und singen
S. hat eine neue Freundin. Wegen der darf er umsonst in alle Konzerte und sogar noch jemanden mitbringen – Spaß für zwei.
„Komm doch mit“, sagt S., „im Postbahnhof spielen die Orishas.“ – „Weiß nicht“, sage ich, „was soll denn das sein?“ – „So brasilianischer HipHop“, sagt S., „das geht auf jeden Fall ab.“ – „Keine Lust“, sage ich. – „Dann ist ja alles klar“, sagt S., „also um acht vor meiner Haustür.“
Die Halle ist gerammelt voll, die Menge kocht. S. wundert sich darüber, dass er Portugiesisch versteht. Das mag daran liegen, dass die Orishas kubanische Rapper sind, die spanischen Sprechgesang mit traditionellen Kubaklängen vermengen. Wiederholt reibt sich der schnauzbärtige Sänger im Schritt – wie eine Kreuzung aus Madonna und Freddie Mercury. „Um Sackkratzer zu besichtigen, hätte ich auch in Neukölln bleiben können“, maule ich. Den Mädchen scheint es zu gefallen.
Ein paar thronen auf den Schultern armer Esel: So können sie sitzen, besser sehen und haben dazu noch die beste Luft. Früher war ich selber mal so blöd: Die Frau war jung, blond, klein und bestand aus Blei. Sie zappelte während des gesamten Konzerts, quiekte und trat mir bravem Grauohr anspornend ihre harten Fersen in die Weichen. Immer, wenn ich zusammenzubrechen drohte, streichelte sie mir kurz den Kopf. Die Erlösung in Form der letzten Zugabe war kaum verklungen, da sprang das Gewicht ab, gab mir einen Kuss und verschwand im Nebel von Roskilde. Von den Rückenschmerzen habe ich mich bis heute nicht erholt.
Am Ende stellen die Orishas die Bandmitglieder vor: „An den Drehtischen …“, „an den Trommeln …“, „am Sack und an den Eiern …“ – der Schnauzbart verbeugt sich. ULI HANNEMANN