„Ja, wir wollen die Welt verbessern“

ZUKUNFT Claus Leggewie und Harald Welzer haben ein Buch über das Ende der Welt geschrieben – und darüber, wie man sie doch noch retten könnte. Ein Gespräch über Klimawandel und die Chancen der Demokratie

■ Der Wissenschaftler: Welzer (Jahrgang 1958) ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Witten-Herdecke und leitet die Forschungsgruppe „Erinnerung und Gedächtnis“ am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.

■ Veröffentlichungen: Mit seinem Buch „Opa war kein Nazi“ (2002) demonstrierte er, dass es mit der Vergangenheitsbewältigung in Familien nicht weit her ist. Zuletzt widmete er sich in „Klimakriege“ (2008) dem Klimawandel. Den sieht er noch immer als unterschätzte Bedrohung des menschlichen Zusammenlebens, weshalb er eine Veränderung des westlichen Konsumstils fordert.

INTERVIEW JAN FEDDERSEN FOTOS VOLKER WICIOK

taz: Herr Leggewie, Herr Welzer, die Konjunkturdaten weisen wieder ins Positive. Läuft es nicht prima mit der Weltwirtschaftskrise?

Claus Leggewie: Wie man’s nimmt. Immerhin sinken mal die Treibhausgasemissionen. Banker habe ich auch keine an der Laterne baumeln gesehen, aber die Börsenticker laufen weiter, der Handel mit blödsinnigen Zertifikaten blüht.

Harald Welzer: Es geht weiter, als wäre nichts weiter gewesen. Nur dass das Krisenmanagement von den kommenden Generationen zu bezahlen ist.

Bedient Ihr Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“ eine allgemeine Krisenangst?

Welzer: Ganz im Gegenteil. Wir plädieren ja für einen kulturellen Wandel, der auch ohne Krise gut wäre. Eine Abkehr von der Leitkultur der Verschwendung und der Zivilreligion des Wachstums würde auch ohne Klimawandel und Finanzkrise Sinn machen – und Spaß.

Leggewie: Wir haben eine großartige Resonanz bei Leuten, die die Welt, wie wir sie kannten, satt haben und der Meinung sind, dass man gerade jetzt mit vereinten Kräften eine bessere bauen kann. Es ist der politischen Klasse nicht bewusst, dass sich „draußen im Lande“ eine außerparlamentarische Bewegung neuen Typs aufbaut.

Die sich woran zeigt, bitte?

Leggewie: Zum Beispiel an der Piratenpartei, an den Klimaallianzen, an neuen Protestbewegungen.

Der Titel Ihres Buches bedient doch eine ziemlich modische Geisteshaltung, nicht wahr?

Welzer: Das ist ein wunderbarer Titel, den wir wenig modisch von REM geklaut haben. Der Refrain „It’s the end of the world as we know it“ geht weiter: „and I feel fine“. Wir sind auch froh, wenn die Welt, wie wir sie kannten, am Ende ist.

Sie scherzen mit apokalyptischen Dingen. Oder wie müssen wir Ihre Krisenverliebtheit verstehen?

Welzer: Warum ist eigentlich immer gleich von Apokalypse und Krisenverliebtheit die Rede, wenn man darauf hinweist, was der Fall ist?

Ja, warum?

Welzer: Sagen wir es doch mal nüchtern: Das, was sich gegenwärtig als Realpolitik verkauft, ist völlig illusionär, weil es nicht ein einziges der Zukunftsprobleme – Klimawandel, schwindende Ressourcen, wachsender Wasser- und Nahrungsmangel, Ansteigen des globalen Konfliktpotenzials und Raubbau an der Zukunft unserer Kinder – bearbeitet. Ich würde da eher von der Krisenverliebtheit der Realpolitiker und -innen sprechen. Krisen helfen ihnen ja auch, sich als rastlose Krisenmanager zu profilieren. Da fällt dann nicht so auf, dass programmatisch „Flasche leer“ ist.

Nun, jede Partei versucht doch auf ihre Weise, ihr Publikum zu erreichen. Die Union sucht das ihrige zu beruhigen, die SPD hofft, dass sie genug Wähler bekommt. Die Grünen sind die Umweltpartei überhaupt. Was ist gegen diesen Kampf um Einfluss einzuwenden?

Leggewie: Dass diese Wählerberuhigung die großen Zukunftsthemen eben einfach ausklammert, wie beim TV-Duell der jetzigen Regierungsparteien und beim anschließenden Dreikampf der Oppositionsparteien um soziale Besitzstandswahrung zu sehen war. Selbst die Grünen, die Klimaschutz immerhin plakatieren, sind sich der wahren Brisanz des Themas wohl nicht bewusst.

Das müssen Sie uns erklären. Die Grünen – sollen keine Ahnung von der wahren Agenda des Politischen haben?

Leggewie: Keine Angst, wir lieben die Grünen mehr als sie vermutlich uns. Sie sind auch am nächsten dran, aber seit dem Magdeburg-Schock …

dem Parteitag 1998, auf dem die Grünen fünf Mark für einen Liter Benzin forderten und hernach von den Massenmedien zerschreddert wurden?

„Diese Rekonstruktion endete bei dem Befund, dass ich selber das Problem bin, das gelöst werden muss, wenn ein kultureller Wandel erfolgreich sein will“

Leggewie: Seither haben sie eine Heidenangst, als reine Ökopartei abgeschrieben zu werden. Und lieber lassen sie gegen Atomkraftwerke demonstrieren, als dass sie Klimaschutz nicht nur als technische Umrüstung, sondern als Vektor einer anderen Politik und Gesellschaft in Betracht ziehen.

Welzer: Man muss sich doch fragen, warum ausgerechnet in der größten Krise der Nachkriegszeit ein inhaltsfreier Wahlkampf stattfindet. Unsere Vermutung ist, dass die Programmatiken aller Parteien an die Ideen von Fortschritt, Entwicklung, Wachstum gebunden sind und sie daher mit einer Situation nichts anfangen können, in der nichts wächst und fortschreitet. Da stehen sie mit leeren Händen und Köpfen da, übrigens auch die Grünen, die ja ihre große Stunde spätestens seit den IPCC-Berichten 2007 …

den Weltklimaberichten …

Welzer … hätten haben müssen.

Okay. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass das politische System die neue ökologische Orientierung breiter Gesellschaftsteile nicht repräsentiere, auch nicht die Grünen. Aber warum tun sie das nicht?

Leggewie: In Veranstaltungen, in den Unis, unter Solarindustriellen, bei den sozialen Bewegungen und in unserem Bekanntenkreis lernen wir gerade eine Menge hoch kompetenter Leute kennen, die in ihrem Bereich wirklich etwas verändern und bewirken, aber im Leben nicht mehr darauf kämen, die Grünen zu wählen. Das ist vielleicht unpolitisch, müsste dem grünen Establishment aber zu denken geben.

Muss man nicht als Demokrat akzeptieren, dass die Parteien, wie sie real in der Bundesrepublik existieren, keine Mehrheiten finden können für eine Ökologisierung der Politik?

Leggewie: Nur wenn das in das alte politische Denken und seine Koalitionsspiele eingefasst bleibt. Denn Gedanke und Konzept der Nachhaltigkeit haben heute, anders als zur Gründungszeit der Grünen, in allen Milieus und Parteien Fuß gefasst, eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern würde vorzugsweise die Person ins Kanzleramt wählen, die sich am ehesten für nachhaltiges Wirtschaften und für einen Durchbruch bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen einsetzt – was wollen wir denn noch? Und warum hängt auch die taz eigentlich so an den Parteien?

Welzer: Das ist mir auch rätselhaft. Die Parteien sind inhaltlich nach der Wende vor 20 Jahren stehen geblieben, und zwar alle. Sie simulieren Politik für eine Gesellschaft, die es so gar nicht mehr gibt. Das ist ja unsere Analyse: dass die Demokratie von zwei Seiten unter Druck gerät – durch das Herausrücken des Westens aus dem Zentrum der Weltgesellschaft und durch innere Erosionsprozesse, ablesbar an sinkender Wahlbeteiligung, abnehmender Zustimmung zur Demokratie und so weiter und so fort. Genau deshalb muss jetzt die Repolitisierung der Zivilgesellschaft und eine neue außerparlamentarische Opposition kommen.

Diese Hoffnung ernst genommen: Ist die neue außerparlamentarische Ökobewegung eine, deren Agenten, ja Kader aus der gesetzten bürgerlich-akademischen Mittelschicht kommen?

Welzer: An Kaderorganisationen hatten wir da eigentlich nicht gedacht. Allerdings muss man sehen, dass die überkommenen Metaphern und Protestformen zum Teil doch arg verbraucht sind. Wie oft kann man eigentlich sagen, dass es fünf vor zwölf ist, dass der Planet Fieber hat oder wir die Erde von den Kindern geborgt haben? Wir können in der gegenwärtigen Situation mit gebrauchten Gedanken und Strategien nichts mehr anfangen, wir brauchen neue. Und deshalb sind für eine APO 2.0 auch die Eliten gefragt.

Bitte … die Eliten?

Welzer: Die haben dort, wo sie sitzen, die größten Handlungsspielräume und damit die besten Möglichkeiten, andere Themen zu setzen und andere Optionen zu wählen. Nebenbei darf man darauf hinweisen, dass viele Akteure der heutigen akademischen Mittelschicht nicht aus bürgerlichen Verhältnissen kommen, was ein Effekt der Bildungspolitik von Willy Brandt gewesen ist. Deshalb gibt es in dieser Post-68er-Generation auch ein großes Politisierungspotenzial.

Leggewie: Agenten des Wandels gibt es in allen Milieus, und die Herausforderung besteht darin, dass sie auch in Hamburg-Wilhelmsburg, Essen-Altenessen oder in Emden an sich glauben.

Wie ist das mit Demokratie vereinbar, wenn das Volk nicht will?

Leggewie: Wer sagt, dass es nicht will? Ich sehe weltweit die Versuchung zum ökologischen Maßnahmenstaat, das chinesische Zentralkomitee hat gerade vorgemacht, wie man den Green Deal auch von oben verordnen kann. Leute, die das Buch gar nicht lesen und verstehen wollen, behaupten sogar, ich sei für die Ökodiktatur, darunter sogenannte „Klimaskeptiker“, die an Ignoranz und Unverantwortlichkeit kaum zu überbieten sind. Das Gegenteil stimmt: Ich habe großes Vertrauen in die Regenerationsfähigkeit demokratischer Gesellschaften von unten.

■ Der Wissenschaftler: Leggewie (Jahrgang 1950) ist Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen. Seine Professur an der Universität Gießen ruht derzeit, dort war er zuletzt Vize-Direktor am Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI). Er forscht zu Erinnerungskultur, Globalisierung und Rechtsextremismus. ■ Der Aktivist: Leggewie sitzt im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland – kritisiert aber auch deren Demokratiedefizite und innere Widersprüche. Außerdem ist er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Sie beteuern beide, dass Sie keineswegs Verzicht predigen. Dennoch assoziieren viele Menschen mit Ökos und ihren Essayisten Dinge wie Verzicht – und fantasieren, Verzicht komme als Vorschlag nur von jenen, die schon alles haben. Wie dementieren Sie diese Einwände?

Welzer: Indem wir auch den schlichten Umstand hinweisen, dass der Status quo jede Menge Verzichtsleistungen fordert, was aber nie thematisiert wird.

So bitten wir Sie!

Welzer: Sehr schön, diese asphaltierten Landschaften. Super, der Fluglärm. Klasse, die Zivilisationskrankheiten. Und dann „Verzicht! Verzicht!“ rufen, wenn man Veränderungsvorschläge macht oder die Leute ermuntert, mal ihren Hintern hochzukriegen!

Die Transformation der Gesellschaft, wie Sie sie vorschlagen, kommt einer Herkulesaufgabe gleich. Ist das mit uns BürgerInnen überhaupt zu schaffen?

Leggewie: Jedenfalls nicht ohne die Bürgergesellschaft. Viele vertrauen auf den Mix aus subventionierter Großtechnik, drakonischer EU-Verordnung und nationalen Gesetzen und wundern sich, dass schon der Austausch von Glühbirnen lachhafte Aktionen bürgerlichen Ungehorsams provoziert. Das kommt, wenn man Nachhaltigkeitspolitik von oben macht, ohne die Intelligenz der Massen zu nutzen.

Welzer: Es ist ein Mythos, dass kulturelle Veränderung unheimlich langsam geht und extrem mühsam ist. Man muss nur mal die Erziehungsstile in diesem Land über die letzten 20 Jahre vergleichen. Oder die Ironiefähigkeit, die es in den ersten 40 Jahren Nachkriegszeit überhaupt nicht gab. Wenn Veränderung als attraktiv wahrgenommen wird, dann geschieht sie sehr schnell. Deshalb werden wir in zehn Jahren auch keine Geländewagen mehr in unseren Stadtzentren sehen.

Können Sie nachfühlen, dass es vielen BürgerInnen zunächst um die Bedrohtheit ihrer Sparbücher oder ihrer Jobs geht?

Welzer: Nicht alle Menschen haben dieselben Handlungsspielräume, und die Besorgnis um die eigene Existenz ist in einer Gesellschaft mit heftiger sozialer Ungleichheit bei den unteren Einkommensgruppen völlig rational. Ich habe kein Problem damit, zu verstehen, dass jemandem am unteren Ende dieser Gesellschaft der Klimawandel schnuppe ist.

Was sagen Sie Menschen, die Ihnen vorwerfen, dass Sie als Arrivierte leicht reden haben über grundstürzende Transformationen?

Leggewie: Dass sie erst mal recht haben. Wir spielen uns nicht als Besserwisser auf, sondern legen offen, wo wir selbst an Grenzen stoßen, an alten Gewohnheiten hängen, wo wir auch nicht weiterwissen.

Zum Beispiel?

„Wir können in der gegenwärtigen Situation mit gebrauchten Gedanken und Strategien nichts mehr anfangen, wir brauchen neue“

Welzer: Doch „mal ausnahmsweise“ den Flieger nehmen, doch „mal schnell“ ins Taxi springen. Ich hielte es aber für völlig falsch, von mir selbst und allen anderen zu verlangen, jetzt zu Klimamönchen zu werden und für Fehlverhalten Abbitte zu leisten. Erstens muss man als Einwohner einer modernen Gesellschaft jeden Tag ganz unterschiedliche Rollenanforderungen erfüllen; das Leben ist also widersprüchlich. Zweitens muss man ja sehen, dass da draußen nicht nur materielle Infrastrukturen in Form von Straßen oder Flughäfen sind, sondern dass diese materiellen Infrastrukturen auch unsere mentalen Infrastrukturen geprägt haben. Oiloholikergesellschaften …

Oiloholikergesellschaften?

Welzer: Ein Wortspiel: ölgeprägte Gesellschaften. Sie prägen bestimmte Denkformen aus, und es ist gar nicht so einfach, an denen vorbeizudenken. Stellen Sie sich mal spaßeshalber eine Welt ohne Öl vor. Ich habe neulich mal rekonstruiert, wie sehr Mopeds und Autos meine Biografie geprägt haben, welche emotionale Rolle sie lebensgeschichtlich spielen, wie sich diese technischen Geräte in meine mentale Infrastruktur eingeschrieben haben. Diese Rekonstruktion endete bei dem Befund, dass ich selber das Problem bin, das gelöst werden muss, wenn ein kultureller Wandel erfolgreich sein will.

Einsicht hilft sicher, oder?

Welzer: Kognitive Einsicht ist leicht zu haben. Das Problem ist, dass eine kulturelle Lebensform auch den Habitus, das Universum der gefühlten Selbstverständlichkeiten, grundiert.

Was treibt Sie beide persönlich, sich um das Thema „Das Ende der Welt“ zu kümmern?

Leggewie: Am meisten unsere Kinder, denen das Buch gewidmet ist. Dann das Vergnügen, an einer möglichen Zeitenwende mitzuwirken. Menschenliebe. Und nicht zuletzt Lust an neuen wissenschaftlichen Themen.

Welzer: Wir haben in den letzten Jahren regelmäßig Hohn und Spott von den superschlauen Kolleginnen und Kollegen eingefahren, wenn wir gesagt haben, dass wir die Welt verbessern wollen. Wollen wir aber, und ich kann bis heute nicht sehen, was daran schlechter sein soll, als den siebenhundertsten Aufsatz über Freuds esoterische Theorie zu schreiben oder Luhmann’sche Glasperlenspiele zu spielen. Wir finden selber denken gut.

Jan Feddersen, Jahrgang 1957, ist sonntaz-Autor