: Vierzig braune Fliesen
ALTLASTEN Die Buchers haben sechs Mülltonnen, einen Kompost und ein ausgeprägtes Umwelt- bewusstsein. Nun auch ein Schuttproblem
■ Trennung: Jeder deutsche Bundesbürger ist per Gesetz aufgefordert, seinen Müll bereits beim Wegwerfen zu sortieren. Am häufigsten gesammelt werden Altpapier, Altglas und Verpackungen durch die Duales System Deutschland GmbH.
■ Recycling: Lokale Recyclinghöfe nehmen außerdem private Abfälle an, die nicht in die gängigen Sammelcontainer gehören. Für einige Stoffe ist eine Annahmegebühr zu zahlen. Die Preislisten sind in der Regel auf der Website des jeweiligen Recyclinghofs einzusehen.
■ Beispiel: In Berlin ist die Entgegennahme von einem Kubikmeter Schuhe bei den Stadtreinigungsbetrieben kostenfrei. Wer ein Toilettenbecken abgeben möchte, zahlt 2,60 Euro; Fliesen kosten pro angefangene 10 Liter eine Gebühr von 1,60 Euro.
VON KIRSTEN KÜPPERS
Die vierzig Fliesen hatten sie beim Aufräumen des Dachbodens gefunden. Die Fliesen waren braun und steckten in einem staubigen Pappkarton.
Für die Buchers* kam es nicht infrage, die braunen Fliesen heimlich und in kleinen Portionen in den Hausmüll zu werfen. Weder für Heiner Bucher (66), Historiker in Pension, ausgestattet mit einem gepflegten Schnurrbart und einem Faible für alles Italienische, noch für seine Frau Marion Bucher (64), energievolle Grundschullehrerin im Ruhestand. Sie wohnen in einem Reihenhaus in einem Dorf am Fuße des Schwarzwalds, einige Kilometer vor Freiburg. Die Buchers haben einen Komposthaufen im Garten und eine Solaranlage auf dem Dach. Ihren Hausmüll trennen sie seit Jahrzehnten in sechs verschiedenen Mülltonnen. Heiner Bucher ist ein entschiedener Gegner des individuellen Personenverkehrs, seine Tiraden gegen Autos sind bei Familienfeiern gefürchtet.
Trotzdem packte er den Karton mit den Fliesen am nächsten Tag in den Kofferraum seines dunkelblauen Ford und fuhr mit seiner Frau vier Kilometer ins nächstgelegene Industriegebiet, zur Müllverwertungsstelle Freiburg-Nord. Dort erklärte ihnen ein Mann an der Pforte, die Entgegennahme der Fliesen koste eine Gebühr von 3,85 Euro.
Marion Bucher ist die Tochter einer geschäftstüchtigen Schwäbin, einer Schwäbin, die noch in den 80er-Jahren Bombenkrater im Wald mit ihren Gartenabfällen aufgefüllt hat. Es leuchtete Marion Bucher nicht ein, dass man für das Hergeben eigentlich gebrauchstüchtiger Fliesen auch noch Geld zahlen sollte. Marion Bucher saß auf der Beifahrerseite des Ford, sie rief ihrem Mann zu: „Die spinnen ja! Komm, wir müssen weiter!“
Zu Hause begann Bucher zu telefonieren, er suchte nach einer billigeren Lösung. In Merdingen, fast an der französischen Grenze, machte er eine Verwertungsstelle ausfindig. Merdingen ist etwa 35 Kilometer von Buchers Reihenhaus entfernt.
Normalerweise. Die Buchers fanden die Verwertungsstelle jedoch nicht auf Anhieb. Nur eine Umleitung. Sie fuhren die Umleitung. Nirgendwo war die Verwertungsstelle. Ein Mann schickte sie zurück zum ersten Umleitungsschild, nach etlichen Kilometern fanden sie die Deponie doch. Den Eingang versperrte eine Schranke. Auf einem Schild stand: „Langsam an die Schranke heranfahren, Schranke öffnet sich“.
Die Schranke öffnete sich nicht beim Heranfahren. Die Buchers benötigten die Hilfe einer Pförtnerin, sie mussten mehrmals um die weiträumige Anlage herumfahren, mehrere Schranken passieren. Mitarbeiter wollten Buchers Kfz-Schein sehen, fragten ihn nach der PS-Zahl seines Wagens, nach dem Gewicht. Schließlich sollten sie den Ford auf eine Waage fahren, das Auto wurde gewogen. Sie erhielten dafür eine Quittung. Dann sollten sie die gesamte Anlage durchqueren, die Fliesen an einem gesonderten Bereich abgeben, eine zweite Quittung holen, noch mal zum Eingang fahren, das Auto ohne Fliesen wiegen, an einer dritten Stelle die Quittungen vorzeigen, eine Gebühr entrichten, die sich aus dem Differenzgewicht des Autos errechnen ließ. Irgendwann kam es, wie es kommen musste: Marion Bucher schrie einen Angestellten der Verwertungsanlage Merdingen an: „Wenn Sie uns jetzt nicht sofort diese blöden Fliesen abnehmen, dann werfe ich sie alle einzeln in den Wald!“
Der Angestellte fragte: „Um wie viele Fliesen, sagten Sie, handelt es sich? Nur um 40? Na, dann schmeißen Sie sie doch einfach dahin!“ Die Handbewegung mit der er auf das nächste schmutzige Loch am Boden zeigte, war irgendwie demütigend.
Die Buchers schlichen schweigend zu ihrem Auto, mit dem sie noch einmal 35 Kilometer nach Hause fahren mussten. Zurück blieben ein Gefühl der Erniedrigung und die Quittung für die Entsorgungskosten: 3,85 Euro.
*Alle Namen geändert