: „Wer Hysterie verbreitet, hilft den Terroristen“
Terrorexperten tendieren zur Dramatisierung und verstärken die Terrorbotschaft, sagt Konfliktforscher Schneckener
taz: Herr Schneckener, Sie sind dieser Tage als „Terrorismusexperte“ gefragt – sehen diese Rolle aber kritisch. Warum?
Ulrich Schneckener: Es gibt bei Ereignissen wie jetzt in London ein Zusammenspiel von Terrorismus und Medien. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, sind Terroristen auf die Medien angewiesen. Die Medien übermitteln die Botschaft und verstärken die psychologischen Effekte. Und hier kann auch der „Experte“ – ungewollt – eine Rolle spielen.
Was macht die Rolle des „Terrorismusexperten“ so schwierig?
Man steckt in einem Dilemma: Die Medien verlangen nach Ad-hoc-Bewertungen, die sich meist nicht mit dem Wissen der Experten decken. Man kann oft nur schweigen oder mitspekulieren. Zudem gibt es in solchen Experteninterviews die Tendenz zur Dramatisierung – was auch in der Natur der Sache liegt: Für den Fachmann ist es immer riskanter, optimistisch zu sein. Wer die Gefahren überbewertet, wird hingegen in der Regel nicht zur Rechenschaft gezogen, wenn diese nicht eintreten.
Tut man damit den Terroristen einen Gefallen?
Auf gewisse Weise schon. Terrorismus erzielt seine Wirkung nicht zwingend durch das, was er tut, sondern durch unsere Reaktion darauf. Sich diesem Mechanismus zu entziehen, ist sehr schwer.
Welche Botschaft wollen islamistische Terroristen übermitteln?
Zunächst geht es darum, Panik und Schrecken zu verbreiten, um die Politik unter Handlungsdruck zu setzen. Die Frage ist: Was tut ihr, damit wir sicher sind? Was folgt, ist oftmals Aktionismus, zumindest auf rhetorischer Ebene. Kurz nach einem Anschlag werden alte Forderungen wieder aufgetischt, die man bei der letzten Runde nicht durchbekommen hat.
Aber warum sollten sich islamistische Terroristen diese Spirale hin zu einer repressiveren Sicherheitspolitik wünschen?
Je repressiver wir reagieren, desto mehr entsprechen wir ihrer Ideologie, wonach der Westen nur an der Unterdrückung der muslimischen Welt interessiert sei. Gleichzeitig können sie die Freiheitsverheißungen – mit denen der Westen gerne in arabischen Ländern auftritt – als vergiftete Geschenke abtun.
Muss der Experte nicht eben diese Mechanismen erklären?
Natürlich sollte er das. Aber oft ist es schwierig, diese Zusammenhänge unterzubringen oder Hypothesen als solche zu kennzeichnen– vor allem, wenn man nur 1.30 Minuten Sendezeit hat und der Interviewer lieber über Worst-Case-Szenarien reden möchte.
Ist es seit dem 11. September 2001 leichter geworden, „Terrorismusexperte“ zu werden?
Zumindest ist die Nachfrage nach solchen Fachleuten gestiegen. Allerdings: Als Wissenschaftler sucht man sich nicht aus, den Titel „Experte“ zu bekommen. Man wird dazu gemacht. Letztlich geben die Medien vor, wer „Terrorismusexperte“ ist und wer nicht.
Auch Fachleute aus anderen Disziplinen wie der Parteienforschung sind oft für Spontananalysen gefragt. Inwiefern ist es für Terrorismusforscher schwieriger, ad hoc seriöse Antworten zu geben?
Wer zu einem Parteitag befragt wird, kennt immerhin das Objekt, um das es geht. Er kann es selbst befragen und unmittelbar studieren. Das ist im Kontext von al-Qaida so gut wie unmöglich. Wir sind fast nur auf Sekundärquellen angewiesen, meist sind das Medienberichte.
Was sollten wir Journalisten künftig besser machen?
Mir ist natürlich klar, dass Medien aktuell über Ereignisse wie in London berichten müssen. Sie sollten aber versuchen, die islamistischen Terroristen als rationale Akteure ernst zu nehmen und sich in der breiteren Öffentlichkeit mit den Mechanismen dieses Terrorismus auseinander zu setzen. Wer Hysterie medial verstärkt, macht genau das, was die Terroristen wollen.
INTERVIEW: ASTRID GEISLER