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Archiv-Artikel

Die Klangdiebe

EINBRUCH In einem Musikstudio wurden einzigartige Mikrofone aus den 1950er Jahren gestohlen

Funktionstüchtige Mikrofone aus dieser Zeit sind heute absolute Sammlerstücke

Als Tonmeister Guy Sternberg nach einer kurzen Nacht im April den langen Treppenaufgang zu seinem Tonstudio in der Greifswalder Straße hinter sich gebracht hat, steht die massive Eingangstür des einstigen DDR-Polizeirevier-Gebäudes sperrangelweit offen. Das Türschloss liegt zerstört am Boden, Sternbergs leise Hoffnung, dass sein Assistent die Tür vielleicht offen gelassen hat, bleibt unerfüllt. „Die Einbrecher haben es nicht einfach nur auf das Geld abgesehen“, bemerkt Sternberg nach einer Inspektion des aufgebrochenen Mikrofonschranks. „Sie haben gezielt eine Auswahl einzigartiger Mikrofone aus den 1950er Jahren mitgehen lassen.“

Die gestohlenen Großmembranmikrofone haben durch ihre Abnutzung seit den 50er Jahren eine einzigartige Klangfärbung ausgeprägt. Funktionstüchtige Geräte aus dieser Zeit sind heute absolute Sammlerstücke. „Wer weiß, wer da schon alles Musik mit aufgenommen hat“, trauert Sternberg seinen Sammlerstücken nach. Die klangprägende Patina auf den alten Mikrofonmembranen und das über zwei Meter breite analoge Mischpult, das die Einbrecher zurückgelassen haben, gelten in der Toningenieur-Szene deutschlandweit als Herzstück des besonderen Klangs des Berliner Studios. Erst in diesem Frühjahr hatte der Stuttgarter Tonmeister Tom Krüger, der lange Jahre den Sound der Fantastischen Vier mitprägte, Aufnahmen aus Sternbergs Low Swing Studio bearbeitet.

„Immer wieder hört man von Einbrüchen in Berliner Musikstudios“, sagt Axel Reinemer, Produzent der in Berlin beheimateten Band Jazzanova, der taz. In sein Studio in Prenzlauer Berg wurde 2006 eingebrochen und Technik im Wert von 80.000 Euro gestohlen: „Die Diebe haben damals die teuren Klangeffektgeräte – Kompressor, Hall und Equalizer – eingesteckt.“ Der Einbruch ins Studio wurde polizeilich untersucht, „mit schwarzem Pulver für Fingerabdrücke, Wedel und allem Drum und Dran“. De facto bleibt der Fall bis heute jedoch unaufgeklärt. Keines von Reinemers Geräten, die er an den speziellen Gravuren erkennen würde, ist je wieder aufgetaucht – nicht einmal im Internet.

Sternberg hat die Sache nun selbst in die Hand genommen und eine Liste mit Seriennummern der gestohlenen Geräte an seine Kollegen in der Branche per Mail geschickt. „Eine ganze Menge Leute halten jetzt ihre Augen offen“, sagt Sternberg. „Die Jagd auf meine Babys ist eröffnet.“

Der Low-Swing-Studiomitarbeiter Florian von Keyserlingk vermutet, dass die Diebe eine gezielte Einkaufsliste abgearbeitet haben. „Teils haben die Einbrecher seltene Mikrofon-Vorverstärker geklaut, das teurere Mikro daneben aber liegen lassen.“ Von Keyserlingk schließt nicht aus, „dass es sich hier um einen Insiderjob handelt und die Auftraggeber aus der Tonstudiobranche kommen“.

In Sternbergs Fall geschah der Raub während der Endphase eines Album-Mixings für einen Künstler, der auf einen baldigen Veröffentlichungstermin hingearbeitet hatte. Nun trifft Sternberg der Einbruch auch monetär. Denn obwohl er versichert ist, muss er für die Beschaffung neuer Mikros in Vorkasse gehen. Auch die Investitionen in das neue Sicherheitssystem muss er selbst stemmen. „Der Raub war ein Schock“, sagt Sternberg. Aber schlussendlich gelte: „Das einzig Unersetzbare für gute Musik ist die Kreativität des Künstlers.“

Constantin Schöttle