Sehnsucht nach dem Oscar

Nicht die Jury, die Akademie ist’s gewesen: Am Samstag wurden die Deutschen Filmpreise vergeben. Dani Levys „Alles auf Zucker“ bekam sechs Lolas, das Führerbunkerdrama „Der Untergang“ keinen

VON CRISTINA NORD

Den schönsten Satz des Abends sagte Henry Hübchen: „Ich habe Hitler geschlagen. Es ist toll.“ Der Schauspieler, der die Hauptfigur in Dani Levys Komödie „Alles auf Zucker“ gibt, war neben August Diehl, Ulrich Matthes und Bruno Ganz, dem Hauptdarsteller aus „Der Untergang“, nominiert. Ganz, der Mann mit dem Hitlerbärtchen, ging leer aus, Hübchen, der jüdisch-deutsche Zocker namens Zuckermann, wurde mit dem Deutschen Filmpreis für den besten männlichen Hauptdarsteller belohnt. Ein wenig mochte dies an Charles Chaplins großes Verdienst erinnern, Hitler zumindest im Film zu schlagen, als er „Der große Diktator“ drehte. Wo der Witz über die bleierne Schwere triumphiert, die Komödie über das Bunkerdrama, die deutsch-jüdische Gegenwart über eine Vergangenheitsbewältigung im Geiste Bernd Eichingers, da kann nicht alles verloren sein.

Am Freitagabend wurden die deutschen Filmpreise zum 55. Mal vergeben, und es war zum ersten Mal die Filmakademie, die über die Nominierungen und die Auszeichnungen befand, nicht mehr die vom Staatsministerium für Kultur bestellte Jury. Statt im Tempodrom fand die Feier in der für die Fernsehübertragung umgestalteten Berliner Philharmonie statt, Michael Bully Herbig besorgte die Moderation, der Satz vom „neuen Selbstbewusstsein“, der sich durch jede Ansprache zum deutschen Film zieht, fiel wie das Amen in der Kirche, und Katja Riemann, die die Auszeichnung für die beste weibliche Nebendarstellerin entgegennahm, freute sich: „Jetzt kann ich endlich mal sagen, was man nur aus dem Fernsehen kennt: I want to thank the academy!“ Ein Oscar für Deutschland: Dieser Wunsch reiht sich in die Sehnsucht nach der Renaissance des deutschen Films ein. „Großes Kino“, schwärmte Herbig, „große Geschichten, große Gefühle“. Das passt in eine Kulturpolitik, die lieber auf Repräsentation denn auf Reflexion setzt.

Für die Kritiker der Filmakademie fanden die Veranstalter denn auch wenig freundliche Worte: „Ein paar Journalisten gibt es natürlich immer noch“, klagte Günter Rohrbach, Präsident der Akademie, „die an ihren Vorurteilen festhalten.“ Tatsächlich wäre es ein Vorurteil zu glauben, dass die über 600 Mitglieder der Akademie sich steuern ließen, damit sie bei ihren Entscheidungen diesen oder jenen Produzenten begünstigten – selbst wenn es überraschen mag, wie lange die Fortune der Berliner Produktionsfirma X Filme bei der Vergabe der Filmpreise schon anhält, gleichgültig, ob eine Jury oder die Akademie votiert. Aber ist es auch schon Vorurteil zu fragen, mit welcher Legitimation die 2,84 Millionen Euro, die das Ministerium als staatliche Kulturförderung zur Verfügung stellt, von der Branche selbst vergeben werden? Wer stimmt mit ab, wem bleibt der Zugang zur Akademie verwehrt, wer will sich erst gar nicht einreihen?

Eines aber hat die deutsche Filmakademie am Freitagabend vermieden: sich von der Welle der Vergangenheitsfilme niederwerfen zu lassen. Dass „Alles auf Zucker“, Levys Variation eines jüdischen Bruderzwistes im heutigen Berlin, sechs Lolas erhielt (darunter die entscheidende, mit einer halben Million Euro dotierte Auszeichnung für den besten Film), das war nämlich auch eine Absage an all die mehr oder minder redlichen Versuche, dem Nationalsozialismus im Spielfilmformat zu begegnen. „Sophie Scholl“ bekam zwei Auszeichnungen, „Der neunte Tag“ eine, „Der Untergang“ – obwohl mehrmals nominiert – keine. Und „Napola“, der Internatsfilm, in dem die Hakenkreuzfahnen so dekorativ flatterten, fand sich erst gar nicht auf der Liste der Nominierten wieder. Die sechs Lolas für „Alles auf Zucker“ lassen sich mithin auch als Einwand gegen jene Filme begreifen, die sich der Nazizeit mit den inszenatorischen Mitteln der Vergangenheit annehmen, mit dem Positivismus des „So ist’s gewesen“ und einem Figurenarsenal von guten und bösen Nazis, wie sie Opas Kino nicht schöner hätte aufstellen können.

„Alles auf Zucker“ setzt dagegen auf die befreiende Kraft des Gelächters; der Holocaust ist eine Referenz unter vielen und einmal sogar eine Pointe am Rande. Ein wenig vermessen ist es allerdings auch, Levys Film mit so vielen Preisen zu bedenken: Schließlich ist der in Basel geborene, seit vielen Jahren in Berlin lebende Regisseur kein Wiedergänger Billy Wilders. „Alles auf Zucker“ hat weder die nötige Pointendichte noch das nötige Tempo, um als Komödie so richtig gut zu funktionieren. Und vielleicht steht dieser Film vor allem für ein Stück Wunschdenken: dass man an einer deutsch-jüdischen Kultur und an einem spezifischen Humor anknüpfen kann, obwohl diese im Nationalsozialismus vernichtet wurden.