: Extrem hohe, bestimmt vegane Schuhe
MODE Kleidung herzustellen verschlingt Ressourcen und macht die ArbeiterInnen krank. Aber es geht auch anders. Wie hinreißend nachhaltige Couture sein kann, zeigt die Modemesse „Ethical Fashion“ im Ewerk
VON JENNI ZYLKA
Endlich! Hohe Schuhe, mit denen man anstandslos in den nächsten Ökoladen stolpern kann, um Milch von gehörnten Kühen zu kaufen! Denn das Wildleder, aus denen die zart türkisfarbenen Trotteurs mit dem 8-Zentimeter-Stilettoabsatz gearbeitet sind, wurde vegetabil, das heißt pflanzlich gegerbt. Das schlechte Gewissen ließe sich theoretisch also auf die Tatsache beschränken, dass man überhaupt neues Leder (Schuhleder lässt sich leider nicht recyceln) bemüht hat, um schick zu sein. Andere, die ihre Produkte auf der parallel und als Ergänzung zur Mercedes Benz Fashion Week stattfindenden Nachhaltigkeits-Modemesse anbieten, haben gleich ganz auf Tierhäute verzichtet: Vegane Schuhe sind im besten Fall aus Stoff, im weniger guten schlichtweg aus schweißfußtreibendem Kunststoff. Für die Sohlen hat ein Anbieter Autoreifen recycelt: So rollt das alte Gummi zurück auf die Straße.
In diesem Jahr ist Ethical Fashion schier explodiert: 2011 präsentierten 36 AustellerInnen ihre Produkte im Ewerk, heute sind es 57. Die Ebenen, auf denen man umwelt- oder gesundheitstechnisch sündigen kann und die somit überdacht gehören, sind unermesslich. Trägt man handelsübliche Jeans wie geschätzte 95 Prozent der Bevölkerung, so wurden diese höchstwahrscheinlich sandstrahlgebleicht und verursachen damit bei den ArbeiterInnen die Lungenkrankheit Silikose. Die hervorragend sitzenden Jeans, in denen zwei Sey-Jeans-Mitarbeiterinnen stecken, wurden dagegen mit Ozongas gebleicht, die Wassermenge, die pro Jeans gebraucht wird, lässt sich so von hundert Litern auf zwei verringern.
Gegenüber hat jemand Bürotaschen aus ausrangierten Offset-Druckstoffen gebastelt. Beim „Upcycling“ wird das Material nicht, wie beim Recycling, durch chemische oder mechanische Prozesse in seine Einzelteile zerlegt und dann wiederverwendet, sondern so, wie es ist, umgearbeitet, quasi ein Stück Ready-made-Mode.
Upcycling ist auch beim Designer-for-tommorrow-Preis ein Thema, der von Peek & Cloppenburg ausgerichtet wird. Am Dienstag wuseln die KandidatInnen beim Fitting für die Show um ihre Outfits herum. Fünf junge, meist gerade mit der Ausbildung fertig gewordene FinalistInnen hat eine Jury um Marc Jacobs aus über 350 ausgewählt, und so unterschiedlich wie ihre Mode scheinen die Charaktere: Während Siddharta Anselm Meyer aus Berlin entspannt noch an einer seiner aus alten Stoffen bestehenden Dandyjacken herumnäht, also quasi live upcycelt, steht dem Spanier Leandro Cano der Schweiß auf der Stirn. Seine Models stecken in Kleidern wie aus einem Luc-Besson-Film: rotbraunes weiches Leder, das an den schmalen Modelhüften zu üppigen, gleichmäßigen Schlaufen drapiert wurde, oder ein Ledertop, das aussieht, als ob das Model im Sitz eines Luxusautos steckt, nur der Kopf schaut heraus.
Er wolle der Mode Volumen geben, sagt Cano am nächsten Tag beim Defilee auf dem Fashion-Week-Runway an der Siegessäule, und genau das hat er mit dieser Kollektion geschafft. Die Jury ist überzeugt: Cano gewinnt den Preis, der unter anderem eine mehrwöchige Zusammenarbeit mit Marc Jacobs in New York beinhaltet. Der Spanier kann sein Glück kaum fassen und weint vor Freude.
Sicher um die Kurve
Sein neben dem Autositz aufsehenerregendster Entwurf ist ein Kleid, in dem die Studentin Erna aus der Nähe von St. Petersburg steckt. Das Kleid hat einen extrem voluminösen Reifrock mit einem düsteren Blumenmuster, das an vielen Stellen durch kleine Aussparungen zu atmen scheint, das Oberteil ist wieder aus dem wunderschönen rostroten Leder. Bei der Show hat Erna ein wenig mit den extrem hohen und bestimmt veganen Schuhen zu kämpfen, doch sie schaukelt das Kleid am Ende sicher um die Kurve. Und wenn Cano seine Siegerkollektion einmal ausrangiert, lassen sich garantiert herrlich Taschen daraus schneidern.