: Die notwendige Rekonstruktion der Mauer
Mit einer Online-Dokumentation füllt der Berliner Denkmalschutz eine wichtige Lücke im Gedenken an die Berliner Mauer
Erst Holzkreuze für die Mauertoten, dann Freiluftausstellung zur Geschichte der Mauer, eventuell ein Museum des Kalten Krieges, dazu ein Denkzeichen am Brandenburger Tor. Man hat den Eindruck, als würden die Berliner derzeit gar nicht genug kriegen vom Gedenken an jenes menschenverachtende Bauwerk, das die Stadt und ihre Bewohner einst in zwei Hälften teilte.
Umso hilfreicher ist es da, wenn das Landesamt für Denkmalschutz daran erinnert, dass die öffentliche Stimmung einmal eine andere war. „Der spontane Wunsch, das Schandmal der deutschen Teilung zu entfernen, führte zur weitgehenden Demontage der Sperranlagen“, heißt es in einer Online-Dokumentation der Denkmalschützer zur Berliner Mauer, die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und Landeskonservator Jörg Haspel gestern vorstellten.
Es ist dieses Spannungsfeld, in dem sich das Gedenken an die Mauer bewegt und das damit selbst zum Teil des Gedenkens wurde. In ihrer weitgehenden Nichtsichtbarkeit wurde die Mauer zur Projektionsfläche, die verbliebenen Reste wie an der Bernauer Straße wirken oft übermusealisiert oder geschichtspolitisch hoffnungslos aufgeladen.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass es deshalb die Denkmalschützer sind, die die Debatte um das Mauergedenken ein tüchtiges Stück vorangebracht haben. Nicht nur, weil sie die Fußangeln der Debatte benannt haben, sondern auch, weil sie sich dem Thema ebenso sachlich wie präzise nähern.
Kern der Dokumentation ist die Inventarisierung aller verbliebenen Mauerreste – von unter Schutz gestellten Denkmalen wie der Hinterlandmauer an der Bornholmer Straße oder dem Wachturm am Schlesischen Busch bis hin zu den zahllosen Spuren, wie man sie beispielsweise zwischen dem S-Bahnhof Wollankstraße und Lübars findet. Jeder Abschnitt wird in Bild und Text vorgestellt und in den historischen Rahmen eingeordnet. So entsteht peu à peu jener Erinnerungszusammenhang wieder, der mit dem Abriss der Mauer verloren gegangen schien.
Dass es dabei keiner fragwürdigen Inszenierung wie durch Alexandra Hildebrandts Mauerkreuz-Installation bedarf, um die Schrecken der Berliner Mauer zu dokumentieren, zeigt zudem der Einleitungstext zu „Aufbau und Entwicklung der Mauer“. Von der Hinterlandmauer auf DDR-Seite bis zum Todesstreifen mit elektrischem Grenzzaun, Hundelaufanlagen und Kontrolltürmen entfaltet sich eine Topografie der Unmenschlichkeit, die kaum einer, in West wie Ost, zu Gesicht bekommen hat. Und die, im Rückblick, irritiert. Man war dabei, hat im Schatten der Mauer Fußball gespielt, hat den Schrecken ignoriert. Auch diese Irritation gehört zum Erinnern.
Zustande gekommen ist die Online-Dokumentation infolge eines Gutachtens, das die Stadtentwicklungsverwaltung an den Lehrstuhl Denkmalpflege der BTU Cottbus unter Professor Leo Schmidt vergeben hat. Seine Ergebnisse liegen seit gestern nicht nur im Netz vor, sondern auch als Buch. Mit ihnen wird die Berliner Mauer wieder als das erfahrbar, was sie ausgemacht hat. Ein realer Einschnitt im Körper der ganzen Stadt – nicht nur am Checkpoint Charlie, an der Bernauer Straße oder am Brandenburger Tor. UWE RADA