: Ersatzorgane vom Tier
Lange galt die Xenotransplantation, die Übertragung von Tierorganen oder Tierzellen auf den Menschen, als unrealistisch. Jetzt macht die Forschung Fortschritte, zum Missfallen der Tierschützer. Denn der Verbrauch von Versuchstieren ist sehr hoch
VON GISELA SONNENBURG
Wie ein Phantom geisterte vor gut fünfzehn Jahren eine Idee durch die medizinische Forschung: Xenotransplantation, die Übertragung von tierischem Organmaterial auf den Menschen, sollte den weltweiten Mangel an Spenderorganen beheben. „Die Idee war richtig in Mode“, erinnert sich der Ulmer Transplantationsexperte Dietmar Abendroth. Doch Virologen befürchteten neue Seuchen in der Art von Aids durch unbekannte, im Tiergenom schlummernde Viren: Ein Moratorium verbot daher Xenotransplantationen als zu risikoreich. Zudem kam die Stammzellforschung auf, ebenfalls Ersatzorgane versprechend – die Xenotransplantationen gerieten somit in den Hintergrund.
Jetzt aber, versichern Fachleute, stehe ein Durchbruch bevor: „In zwei bis drei Jahren“, schätzt nicht nur Abendroth, wird es Xenotransplantationen geben. Das erste Projekt mit Erfolgsaussicht: der Einsatz tierischer Inselzellen. Die Langerhans’schen Inseln produzieren beim Tier wie beim Menschen Insulin; Diabetiker könnten mit Implantaten auf Injektionen verzichten, hätten zudem endlich konstante Blutzuckerspiegel.
Ausprobiert hat das – trotz der damaligen Ächtung – der Mexikaner Rafael Valdés. Er setzte in den 90er-Jahren insgesamt 24 jugendlichen Diabetikern je zwei Leichtmetallkapseln ein, welche wie eine Membran Inselzellen vom Schwein umschlossen. Das Prinzip: Die kleinen Insulinmoleküle sollten aus der Hülle in den Körper strömen, die größeren T-Zellen der Immunabwehr sie jedoch nicht durchdringen können.
Auch wenn das langfristig nicht funktionierte, weil die Schweinezellen abstarben: „Valdés hat nachweisen können, dass seine Methode den Patienten nicht schadet“, so Karin Ulrichs, Professorin der Universitätsklinik Würzburg. Und obwohl der Mexikaner seine Forschung zunächst nicht publizieren durfte, fand er heimliche Nachahmer, so in Kanada, wo hunderte ein Implantat bekamen. Mittlerweile ist Valdés rehabilitiert; es gilt als nahezu sicher, dass bei solchen Manövern keine Retroviren übertragen werden.
Ein Restrisiko bleibt, das Verbot aber fiel, und Karin Ulrichs befindet sich mit Experimenten, Inselzellen vom Schwein mit einem Alginat aus braunen Meeresalgen zu verkapseln, auf legitimem Terrain. Ein Drittel ihrer zuckerkranken Versuchstiere – in diesem Fall Ratten – hatte dank der Implantate bis zu 502 Tage konstante Zuckerwerte. Und: Auf die sonst nach Transplantationen übliche Verabreichung von Immunsuppressiva, die die körpereigene Abwehr unterdrücken und starke Nebenwirkungen haben, kann bei dieser Methode verzichtet werden.
Ulrichs verwendet bei ihrer „Xenotransplantation light“ Zellen „normaler“ Schweine. Ansonsten beschäftigen sich Xenotransplantationsforscher jedoch überwiegend mit transgenen, also genetisch veränderten und geklonten Tieren. So gibt es bereits Versuche mit Inselzellen vom Pazifischen Weißfisch Tilapia, die Humaninsulin produzieren. Und auch in Deutschland wird die molekulare Tierzucht seit langem praktiziert.
Dazu punktiert man die Eizellen der Tiere, tauscht im Zellkern an zwei Stellen die Erbsubstanz aus, macht sie so menschenähnlicher: um Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen zu vermindern. Denn während die hyperakute – also die sofortige – Abstoßung fremder Zellen medizinisch beherrschbar wurde, ist die langfristige Immunabwehr das Hauptproblem der Xenotransplantation: Die Medikation, die man derzeit Versuchstieren zumutet, gilt als für humanen Gebrauch völlig untauglich.
Bruno Reichart, Münchner Professor und Sprecher der Transregio-Forschergruppe Xenotransplantation: „Ein Medikamentenmix, der gut verträglich ist, steht noch aus.“ Dennoch sieht er Chancen, Herzen vom Schwein zu transplantieren: „Das Herz ist ein einfaches Organ, weil es nur pumpen muss.“ In Kooperation mit der amerikanischen Mayo-Klinik hofft Reichart auf geeignete transgene Spenderschweine.
Tierschützer wie Brigitte Rusche von der Tierschutzakademie des Deutschen Tierschutzbundes sind davon wenig begeistert: „Menschenschweine“ und die Affen, die als „Probeempfänger“ herhalten, sind völlig artfremden Belastungen ausgesetzt, erleiden große Qualen. Rusche wittert „Wissenschaftsgläubigkeit“, sogar „blindes Vertrauen“ in die Forschung. Derweil gibt es in Deutschland kaum exakte Zahlen, die das Leid geklonter Tiere beziffern. Insgesamt werden über zwei Millionen Wirbeltiere forschungshalber jedes Jahr Jahr registriert. Aber wenn, wie im Jahr 2003 von 42 transgenen Schweinen die Rede ist, so stehen pro Versuchstier hunderte „unbrauchbare“ dahinter.
In der Schweiz herrscht etwas mehr Transparenz. Der Basler Appell gegen Gentechnologie listet auf, dass dort im Jahr 2003 rund 63.500 Tiere gentechnisch verändert wurden, zumeist Mäuse. Aber: Deren Nachkommen werden nicht erfasst, weil sie nicht bewilligungspflichtig sind. Der wissenschaftliche Sinn des Klonens schrumpft indes bei näherer Betrachtung. Da ein Original zwangsläufig älter ist als seine Kopie, sind Klonzellen, wie Dietmar Abendroth sagt, „grundsätzlich problematisch“: Sie sind quasi vergreist.